Wahl-Appelle, Corona-Scherze und Videoschalten: Bei der Verleihung des TV-Preises Emmy gewinnt ein kanadischer Außenseiter sämtliche Comedypreise, und Maria Schrader wird für „Unorthodox“ als erste deutsche Regisseurin überhaupt ausgezeichnet.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Stuttgart - Sie haben noch nie von der Comedyserie „Schitt’s Creek“ gehört? Nein? Dafür müssen Sie sich nicht schämen. Sie sind nicht allein damit. Die kanadische Serie, die von einem Videotheken-Millionär erzählt, der nach dem Bankrott mit seiner Familie im Kaff Schitt’s Creek über die Runden kommen muss, war sechs Jahre lange das bestgehütete Geheimnis des Serienfernsehens. Weil sie weder bei Streamingdiensten wie Netflix, Amazon oder Hulu noch bei Pay-TV-Sendern wie Showtime oder HBO lief, sondern bei einem der Fernseh-Networks, die viele als ein nutzloses Überbleibsel aus dem vergangenen Jahrhundert halten. Tatsächlich wurde die Welt erst auf die Qualitäten von „Schitt’s Creek“ aufmerksam, als Netflix in den USA die Serie in ihr Streamingangebot aufnahm.

 

„Schitt’s Creek“ ist kein Geheimtipp mehr

Seit der Nacht von Sonntag auf Montag ist die schrullig-schlaue Komödie kein Geheimtipp mehr. In allen sieben wichtigen Comedy-Kategorien hat die Serie bei den 72. Prime-Time-Emmy-Awards gewonnen: beste Serie, beste weibliche und männliche Haupt- und Nebendarsteller, beste Regie und bestes Drehbuch. Und wer bisher glaubte, in Deutschland mit einem Netflix-, Amazon-Prime- und Sky-Abo gut versorgt zu sein, denkt jetzt vielleicht nach, auch noch den Streamingdienst TV Now zu abonnieren, der hierzulande das Zuhause von „Schitt’s Creek“ ist.

Immer wieder der Aufruf, wählen zu gehen

„Eigentlich erzählt unsere Serie davon, was Liebe und Toleranz bewirken können“, sagte Dan Levy, der Preise als Regisseur, Autor und Nebendarsteller von „Schitt’s Creek“ erhielt und die Zuschauer aufforderte, am 3. November wählen zu gehen. Wie die anderen Nominierten und Preisträger des wichtigsten Fernsehpreises der Welt war Levy per Video zugeschaltet. Der Moderator Jimmy Kimmel stand die meiste Zeit allein in leeren Kulissen des Staple Center in Los Angeles. Viele der Preisträger, die wie Levy zugeschaltet wurden, äußerten sich in eine ähnliche Richtung wie dieser. Zwar gab es deutliche Kritik an Trumps Politik. Dessen Name fiel während der dreistündigen aber nur einmal („Twittert Trump schon über uns?“, fragte Kimmel). Statt bösartiger Kommentare gab es vor allem Aufforderungen, sich nicht vom Hass, sondern von der Liebe leiten zu lassen, im täglichen Miteinander, aber auch bei der anstehenden Wahl des US-Präsidenten.

Nachts um 4 Uhr aus Berlin zugeschaltet

Für eine weitere Überraschung sorgte die deutsche Netflix-Serie „Unorthodox“: Maria Schrader wurde als beste Regisseurin ausgezeichnet. Nominiert waren in dieser Kategorie auch die US-Serien „Little Fires everywhere“ und „Watchmen“ (beide in Deutschland bei Sky verfügbar) sowie die britische Serie „Normal People“ (Starzplay). Schraders Vierteiler erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die in der jüdisch-orthodoxen Gemeinde in New York City aufwächst und aus einer arrangierten Ehe nach Berlin flieht.

„Ich bin sprachlos“, sagte Schrader, die zusammen mit weiteren Teammitgliedern live aus Berlin der Zeremonie zugeschaltete wurde. „Unorthodox“ hatte insgesamt acht Nominierungen erhalten. Chancen auf die begehrte TV-Auszeichnung hatten neben Schrader noch Hauptdarstellerin Shira Haas und die Autorin Anna Winger. Casting, Kostüme und Musik wurden mit weiteren Nominierungen bedacht.

Die Show übt sich in einem Balanceakt

In der Miniserien- und der Dramenkategorie gab bei den Preisträgern mehr Abwechslung als in der Comedy-Sparte. Zwar wurde das als Favorit gehandelte Familienepos „Succession“ (Sky) als bestes Drama ausgezeichnet, doch weitere Preise in dieser Kategorie musste sich die Serie etwa mit dem schrillen Coming-of-Age-Stück „Euphoria“ (Zendaya als beste Hauptdarstellerin), das in Deutschland von Sky ausgestrahlt wird, oder dem Apple-TV+-Mediendrama „The Morning Show“ (Billy Crudup als bester Nebendarsteller) teilen. Bei den Miniserien gewann wie erwartet die virtuose Graphic-Novel-Adaption „Watchmen“ (Sky) den Hauptpreis. Ausgezeichnet wurden aber zum Beispiel auch Uzo Aduba als beste Nebendarstellerin im Geschichtsdrama „Mrs. America“ (Sky, Magenta TV) oder Mark Ruffalo als bester Hauptdarsteller für seine Doppelrolle in der Geschwistertragödie „I know this much is true“ (Sky).

Die Show übte sich derweil in einem Balance-Akt zwischen politischen Anspielungen, Corona-Scherzen und Entertainment. Mal musste Jason Sudeikis während einer Preispräsentation einen Corona-Test machen, mal wurden die Trophäen von Menschen in Seuchenschutzanzügen überreicht. Mal gab sich die Fernsehbranche selbstkritisch, indem sie Issa Rae („Insecure“) und America Ferrera („Ugly Betty“) über ihre Diskriminierungserfahrungen bei Castings berichten ließ, mal feierte sie sich selbst, wenn sie in einer Videoschalte mit Jennifer Aniston, Lisa Kudrow und Courteney Cox drei der Stars des Sitcom-Klassikers „Friends“ enger zusammenrücken ließ, als das zu Corona-Zeiten eigentlich erlaubt ist.