Weg von Atom und Kohle, hin zu Strom aus Wind und Sonne. Das ist das eine. Doch Energiewende ist mehr. Die EnBW sucht daher Geschäftsideen für die Zukunft - von der schlauen Laterne bis zum Schlaglochfinder.

Karlsruhe - Wer bei der EnBW neue Ideen sucht, kommt an den alten nicht vorbei: Der Innovations Campus des Stromkonzerns am Karlsruher Rheinhafen liegt direkt am Kohlekraftwerk RDK 8. Vorwiegend jüngere Leute sind dort über Laptops gebeugt oder diskutieren in kleinen Runden. Es gibt Holzpaletten mit Kissen, gestrickte Sitzkugeln und bunte Hängematten - Start-up-Feeling statt dröges Büro-Ambiente - und Zeichen für den Bruch mit der Vergangenheit.

 

Deutschlands drittgrößter Stromkonzern (Umsatz: knapp 21 Milliarden Euro, 21 800 Mitarbeiter, 5,5 Millionen Kunden) hat sich einem grundlegenden Wandel verschrieben. Atom- und Kohlekraft sollen Zug um Zug durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Konzernchef Frank Mastiaux will zusätzlich neue Geschäftsfelder erschließen - zum Beispiel die Absicherung von systemkritischer Infrastruktur. Doch egal, ob es um Telefonnetze, Verkehrswege oder Sicherheit im öffentlichen Raum geht - die Konkurrenz schläft nicht.

150 Mitarbeiter betreuen insgesamt 18 Projekte

Deshalb muss EnBW-Innovationschef Uli Huener liefern. Sein 20-köpfiges Kernteam im Innovations Campus soll Ideen für Geschäftsmodelle entwickeln und schnell auf den Markt bringen. „Disruption“ - zu deutsch „Zerstörung“, „Unterbrechung“ - ist eine typische Vokabel der Start-up-Szene. Für Huener ist das Wort Programm: „Wir suchen nach neuen Geschäftsmodellen.“ Mehr als 150 Leute in 18 Projekten betreut der Mathematiker und IT-ler derzeit.

Gut 30 Projekte hat er im Campus begleitet. Ein Drittel war auf den zweiten Blick nicht erfolgversprechend. „Die haben wir gestoppt.“ Doch auf manch Baby, das im „Inkubator“ heranwuchs, ist er stolz. Auf das Start-up Vialytics etwa, das die EnBW mit einem dreiköpfigen Gründerteam aus Stuttgart im Frühjahr 2018 aus der Taufe gehoben hat: Ein Smartphone an der Windschutzscheibe städtischer Fahrzeuge liefert dabei Fotos vom Zustand einer Straße. Die Aufnahmen werden analysiert, Risse als grüne Kästchen markiert. Kommunen können so schneller auf Schäden reagieren und Kosten sparen. „Straßen-Prophylaxe“, nennt Huener das. 20 Kommunen nutzen es schon.

Straßenlaternen können mehr als nur leuchten

Dass die EnBW beim Start finanziell unter die Arme griff und zu 20 Prozent beteiligt ist, hat das Ganze beschleunigt, sagt Gründer Danilo Jovicic. Wertvoll für das junge Gründer-Team ist vor allem die Türöffner-Funktion des Südwest-Versorgers, der fast ganz in öffentlicher Hand ist. Auch das Team Parconomy hat davon profitiert: Das Start-up um den Wirtschaftsingenieur Thomas Stebich hat ein System ausgetüftelt, das Autofahrer bargeldlos auf den reservierten Stellplatz lotst. Das spare Zeit, verhindere Staus und entlaste die Innenstadt. Demnächst startet ein Pilotprojekt in Parkhäusern in Stuttgart und Karlsruhe.

Am weitesten gediehen ist die nun eigenständige Geschäftseinheit Smight. Fünf Jahre nach dem Start erwirtschaften die 25 Mitarbeiter knapp zehn Millionen Euro Umsatz. „Dieses Jahr werden wir profitabel“, sagt Chef Oliver Deuschle. Die Idee: Straßenlaternen können mehr als leuchten. Je nach Bedarf kann eine aufgerüstete Lampe Notrufsäule und Parkplatzsensor sein, Ladestation für E-Autos, WLAN-Hotspot, Verkehrsüberwacher oder Feinstaubmesser.

Zum Umsatz tragen die Start-ups nur 0,1 Prozent bei

Angesichts von rund neun Millionen Straßenlaternen in Deutschland haben allerdings auch Konkurrenten das Geschäft für sich entdeckt - darunter die RWE-Tochter Innogy. Mit ihren Sensordaten will die EnBW-Firma Smight dennoch bundesweit Stadtwerke ausrüsten. 230 Kunden zählt sie bereits, die meisten in Baden-Württemberg.

Mit rund 20 Millionen Euro tragen alle Aktivitäten im Campus nicht einmal 0,1 Prozent zum Konzernumsatz bei. Für die EnBW ist es dennoch alles andere als Spielerei: „In der Summe und auf längere Sicht sollen diese Themen einen substanziellen Beitrag zum Geschäft bringen“, hat Konzernchef Mastiaux kürzlich betont. Mit den Produkten für morgen und übermorgen wachse auch die Reputation im Markt, sagt Innovationschef Huener - verdeutlichen sie doch den Systemwechsel, den Abschied vom bisherigen Atom- und Kohlestromer.

Innovationscamps gibt es einige in Deutschland - im Energiebereich etwa den Euref-Campus in Berlin mit mehr als 150 Firmen. Die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, sieht die EnBW dennoch als Vorreiter: Die Karlsruher hätten schon früh mit der Umstellung von der Atomenergie auf dezentrale erneuerbare Energien, mit nachhaltiger Mobilität und Energiesparen begonnen. „EnBW stellt sich den neuen Geschäftsmodellen, die mit den alten nicht mehr viel gemein haben“, sagt Kemfert. „Das hat disruptiven Charakter.“