Seit Montag fließt kein Erdgas mehr von Russland durch die Ostseepipeline. Grund sind die jährlichen Wartungsarbeiten. Die Regierung in Berlin befürchtet allerdings, dass Wladimir Putin dies zum Anlass nehmen könnte, den Gasexport nach Deutschland ganz zu stoppen.

Die Ostseepipeline Nord Stream 1 von Russland nach Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) ist von überragender Bedeutung. Durch die beiden Stränge fließt normalerweise ein Großteil des Erdgases, das Deutschland importiert. In den vergangenen Wochen hatte Russland die Lieferung im Zusammenhang mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine bereits stark gekürzt. Seit Montag fließt gar kein Gas mehr durch die Röhre. Grund ist eine Routinewartung, die zehn Tage dauern soll. Die Bundesregierung befürchtet, dass Russlands Präsident Wladimir Putin den Vorgang mit einer fadenscheinigen Begründung zum Anlass nehmen könnte, die Lieferungen ganz zu stoppen. Ein Blick auf die Hintergründe und mögliche Folgen für Verbraucher.

 

Warum muss Nord Stream 1 gerade jetzt gewartet werden? Diese Wartung steht jedes Jahr an. Dass sie ab dem 11. Juli stattfinden soll, ist seit Langem bekannt und hat nichts mit Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen die Ukraine oder den westlichen Sanktionen gegen Moskau zu tun. Für die Wartung wird die Pipeline stillgelegt. Unter anderen Umständen hätte die Öffentlichkeit davon kaum Notiz genommen.

Warum war die jährliche Wartung bisher nie ein Problem? In der Vergangenheit war es so, dass Russland während der Arbeiten mehr Gas durch andere Röhren pumpte und zugleich Erdgas aus Speichern in Deutschland entnommen wurde. Durch die sogenannte Jamal-Pipeline, die durch Polen führt, liefert Russland seit April gar kein Gas mehr. Durch die Transgas-Röhre, die durch die Ukraine verläuft, kommt derzeit nur ein Drittel der sonst üblichen Menge. Bei den Gasspeichern läuft ein Rennen gegen die Zeit: Deutschland will seine Vorräte bis zum Beginn der kalten Jahreszeit weitgehend auffüllen. Es muss dafür sehr viel Geld aufwenden und kauft zu sehr hohen Preisen Gas von anderen Lieferanten – etwa aus Norwegen oder Flüssiggas vom Weltmarkt, das dann über Belgien oder die Niederlande nach Deutschland gelangt. Zuletzt waren die Speicher hierzulande im Schnitt zu rund 65 Prozent gefüllt.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Putin Deutschland das Gas komplett abdreht? „Ehrlich gesagt, es weiß keiner“, sagt der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Er verweist darauf, dass aus Moskau ganz unterschiedliche Signale kommen. Der Bundesregierung bleibt nichts anderes übrig, als sich auf alle denkbaren Szenarien einzustellen. Es könnte also sein, dass Russland nach der Wartung gar kein Gas mehr liefert, die Exporte eingeschränkt fortsetzt oder sogar wieder zur vereinbarten Menge zurückkehrt. Das Schüren von Unsicherheit ist Teil der russischen Strategie im Krieg gegen die Ukraine und im Konflikt mit dem Westen.

Welche Rolle spielt Russland für Deutschland als Gaslieferant? Immer noch eine sehr wichtige – obwohl es bereits gelungen ist, die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen deutlich zu reduzieren. Zuletzt kam noch etwa ein Viertel der hiesigen Gasimporte aus Russland. Vor Beginn des russischen Angriffskrieges betrug der Anteil mehr als die Hälfte. Eine Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 2, die parallel zu Nord Stream 1 verläuft, hätte Deutschlands Abhängigkeit noch weiter erhöht. Nord Stream 2 ist baulich fertiggestellt. Deutschland stoppte aber im Februar kurz vor Russlands Überfall auf die Ukraine die Zertifizierung, so dass die Röhre nicht in Betrieb gehen konnte.

Was hat es mit der Turbine auf sich, deren Fehlen angeblich einem regulären Betrieb von Nord Stream 1 im Wege steht? Als Russland im Juni seine Gasexporte durch die Leitung auf 40 Prozent der Maximalleistung verminderte, begründete es dies mit Problemen bei der Reparatur von Gasverdichtern. Es ging auch um eine Turbine von Siemens Energy, die im kanadischen Montreal gewartet wurde und wegen der Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht zurückgeschickt werden durfte. Am vergangenen Sonntag erteilte die kanadische Regierung eine Ausnahmegenehmigung: Die Turbine darf jetzt nach Deutschland geflogen werden, von wo sie nach Russland weitertransportiert werden soll. Die Bundesregierung bezweifelt allerdings, dass ihr Fehlen tatsächlich der Grund für den gedrosselten Gasfluss war.

Droht Deutschland im Winter der Gasnotstand? Das hängt unter anderem davon ab, ob und in welchem Umfang Russland den Gasexport wiederaufnimmt, wie kalt der Winter wird und wie viel Gas Privathaushalte, Stromwirtschaft und Industrie in den kommenden Monaten einsparen. Auf jeden Fall stellt die Bundesregierung die Bürger darauf ein, dass Erdgas noch deutlich teurer werden könnte, als es ohnehin schon ist.

Sind weitere Hilfen für Verbraucher in Sicht? Zwei Entlastungspakete im Volumen von 30 Milliarden Euro sind bereits beschlossene Sache. Die Debatte geht aber weiter. So brachte Umwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) zuletzt ein Moratorium für Gas- und Stromsperren ins Gespräch. Dies soll verhindern, dass Bürgern, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können, im Winter die Energie abgestellt wird. Der Städte- und Gemeindebund brachte die Einrichtung von öffentlichen Wärmeräumen für Bedürftige ins Gespräch.