Eine Beraterfirma fahndet nach einem Nachfolger für Ex-EnBW-Chef Villis: Gesucht wird ein Topmanager, der nicht branchenerfahren sein muss.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Karlsruhe - Edith Sitzmann wirkte etwas ratlos. Inwieweit sich das Anforderungsprofil an den künftigen EnBW-Chef von dem seines Vorvorgängers Utz Claassen unterscheiden solle? "Schwierige Frage", murmelte die Grünen-Fraktionschefin und verstummte. Abwegig ist sie indes nicht. Mit der Suche nach einem Nachfolger für Hans-Peter Villis wurde nach StZ-Informationen nämlich genau die gleiche Personalberatung beauftragt, die im Jahr 2003 bereits Claassen gefunden hat: Egon Zehnder International. Sogar der Projektleiter ist der gleiche wie damals: Jörg Ritter aus dem Berliner Büro.

 

Offiziell wollte das freilich weder ein Sprecher von Zehnder noch der EnBW-Aufsichtsratschef Claus Dieter Hoffmann bestätigen. Zur Suche nach dem neuen Vorstandsvorsitzenden werde er sich überhaupt nicht äußern, ließ Hoffmann einen Konzernsprecher ausrichten. Gleichwohl beginnt sich die Vergabe des begehrten Auftrages an Egon Zehnder in der Landespolitik herumzusprechen - und löst dort eine gewisse Verwunderung aus.

Die Latte hängt "nicht besonders hoch"

Als die Berater vor neun Jahren überraschend Claassen aus dem Hut zauberten, galt das als Coup: Den Chef der Göttinger Sartorius AG, ohne Erfahrung in der Energiebranche, ohne Bezug zu Baden-Württemberg und noch keine vierzig Jahre alt, hatte niemand auf der Rechnung. Dem bulligen Niedersachsen, wie sein Entdecker Ritter einst bei McKinsey tätig, wurde indes Großes zugetraut. Fachlich hat Claassen die Erwartungen wohl überwiegend erfüllt, persönlich dagegen eckte er mit seinem Auftreten zunehmend an. Die Umstände, unter denen er sich 2007 vorzeitig verabschiedete, sind bis heute nicht ganz klar.

Als der Chefaufseher Hoffmann 2007 den Nachfolger präsentierte, wurde überdeutlich, was die Großaktionäre - die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) und die Electricité de France (EdF) - an Claassen irritiert hatte. Nach dem exzentrischen Überflieger kam ein bodenständiger Bergmannssohn aus dem Ruhrgebiet: Hans-Peter Villis. Den Auftrag, das Unternehmen aus den Schlagzeilen zu bringen, erfüllte er gründlich.

Über seine sonstige Performance gehen die Urteile weit auseinander. Bei der EdF hielt sich die Wertschätzung dem Vernehmen nach zuletzt in Grenzen, ebenso wie bei der grün-roten Landesregierung (und übrigens auch dem letzten CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus). Die oberschwäbischen Landräte hingegen halten bis heute große Stücke auf Villis; an seinen Qualitäten, heißt es OEW-intern, müsse sich der Nachfolger messen lassen. Damit werde die Latte ja "nicht besonders hoch" gelegt, spöttelt ein Branchenkenner mit mehr Überblick.

Führungsqualitäten haben Priorität

Ein zweiter Claassen, das scheint klar, wird trotz des Mandats für Egon Zehnder nicht gesucht. Die Headhunter fahnden ohnehin nicht nach eigenem Gutdünken, sondern nach den Vorgaben des Aufsichtsrates. Der habe "ein Anforderungsprofil definiert", berichtete der SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel, das ihm freilich nicht bekannt sei. Auch die anderen Koalitionsgrößen, vorneweg Ministerpräsident Winfried Kretschmann, beantworten Fragen danach nur vage. Ihr Tenor: es müsse ein herausragender Manager sein.

Tatsächlich stehen nach Informationen der Stuttgarter Zeitung die allgemeinen Führungsqualitäten in der Wunschliste ganz oben. Die fachliche Expertise rangiere weiter hinten, entgegen manchen Vermutungen müsse es mitnichten unbedingt ein Spezialist für erneuerbare Energien sein. In der Branche werden diese Prioritäten durchaus kritisch diskutiert: Angesichts der Komplexität der Energiewende, hört man, seien fundierte Fachkenntnisse vonnöten. Da könne sich die EnBW "keinen Lehrling leisten".

Eine klare Führung - und zwar schnell

Keine Rede ist übrigens mehr von der zeitweise kursierenden Einschätzung, es gehe um eine Art Himmelfahrtskommando, das sich niemand antun werde. Heute wird vielmehr von einer gewiss herausfordernden, aber hochattraktiven Aufgabe gesprochen. In mancherlei Hinsicht habe die EnBW für die Energiewende bessere Voraussetzungen als die anderen Konzerne, sagt ein Kenner des Unternehmens: Sie sei nicht so verkrustet wie RWE, nicht so sehr durch internationale Zwänge gebunden wie Eon und habe keine solche Monostruktur wie Vattenfall.

Als möglicher Villis-Nachfolger wird auch der eine oder andere Vorstand von den Großen gehandelt, ebenso wie schon länger der Thüga-Chef Ewald Woste oder neuerdings der Leiter einer Bundesbehörde. Doch derlei Spekulationen sind mit Vorsicht zu genießen. "Wer früh genannt wird, wird es eher nicht", sagt ein Koalitionsstratege.

So sehr es auf die richtige Person ankommt, so wichtig ist auch der Zeitfaktor. Die EnBW brauche dringend wieder eine klare Führung, heißt es inner- und außerhalb des Unternehmens. Nach der Hängepartie 2011 dürfe nicht ein weiteres Jahr mit Villis als "lahme Ente" ins Land gehen; die Chancen der Energiewende gelte es möglichst schnell zu nutzen. Staatsministerin Silke Krebs (Grüne) die auch im Aufsichtsrat sitzt, dämpfte indes die Erwartungen. "Wir sind im Verfahren", sagte sie kürzlich vor Journalisten; Ergebnisse werde es sicher "nicht in den nächsten Wochen" geben.

Wie lange reicht das Geld für die EnBW?

Kassensturz Branchenkenner erwarten, dass der nächste EnBW-Chef zu Amtsantritt einen Kassensturz macht. Dieser könnte größere Probleme offenbaren als bisher bekannt. Weitere Wertberichtigungen könnten Insidern zufolge besonders bei der Beteiligung am Oldenburger Versorger EWE nötig sein. Für den 25-Prozent-Anteil hatte EnBW mehr als zwei Milliarden Euro bezahlt.

Kapitalerhöhung Ein Kassensturz könnte auch die Frage aufwerfen, ob und wie lange die geplante Kapitalerhöhung von 800 Millionen Euro ausreicht. Laut der Koalition plant man damit bis 2014. Nachdem das Land seinen Anteil von 400 Millionen Euro zugesagt hat, wollten gestern auch die OEW als zweiter Großaktionär bei einer Verbandsversammlung darüber beschließen.