Das vor zwei Jahren beschlossene Projekt, das Europa unabhängiger machen sollte von Gaslieferungen aus Russland, erweist sich als zu teuer und unwirtschaftlich. Die Suche nach billigeren Alternativen hat bereits begonnen.

Istanbul - Als die Staats- und Regierungschefs von Griechenland, Zypern und Israel vor zwei Jahren den Bau einer Gaspipeline aus dem östlichen Mittelmeer nach Europa vereinbarten, war die Hoffnung groß. Von einer „geopolitischen Partnerschaft“ der drei Länder war die Rede, von einer „Brücke“ zwischen den Gasfeldern unter dem Mittelmeer und den Verbrauchern in Europa.

 

Rund 20 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr sollten nach dem Endausbau durch die 1900 Kilometer lange und sechs Milliarden Euro teure Leitung „EastMed“ fließen, die Europa unabhängiger von russischem Gas machen sollte. Doch zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Abkommens am 2. Januar 2020 ist das Projekt gescheitert.

Die Türkei fühlte sich ausgeschlossen und schickte Kriegsschiffe

Die Pipeline war von Anfang an umstritten. Die Türkei beklagte, dass sie von der Ausbeutung der Erdgas-Vorräte in den Gewässern um Griechenland und Zypern ausgeschlossen werden sollte, und heizte mit der Entsendung von Kriegsschiffen und einer eigenen Erdgas-Suche den Streit um Hoheitsgebiete im östlichen Mittelmeer an. Experten hielten die teure Pipeline für unwirtschaftlich. Hinzu kamen die technischen Herausforderungen beim Bau einer langen Rohrleitung durch das Mittelmeer. Bisher ist noch nicht mit dem Bau der Pipeline begonnen worden.

Dennoch signalisierten die EU und die USA zunächst ihre Unterstützung. Die vor 13 Jahren entdeckten Gasvorräte vor den Küsten Israels und Ägyptens sowie Gaslager vor den Küsten Griechenlands und Zyperns belaufen sich nach US-Berechnungen auf insgesamt bis zu 3,5 Billionen Kubikmeter. Mit der Höchstmenge von 20 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr könnte „EastMed“ rund fünf Prozent der EU-Gasimporte liefern. Befürworter versprachen deshalb, „EastMed“ werde Europas Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland senken. Die Pipeline verleihe der EU-Gaspolitik „mehr Flexibilität und Unabhängigkeit“, sagte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis.

Die Pipeline sollte auch die Zusammenarbeit der Länder stärken

„EastMed“ sollte auch die regionale Zusammenarbeit von Griechenland, Zypern, Israel und Ägypten gegen die Türkei stärken. Alle vier Staaten lagen mit Ankara im Streit. Kurz vor Unterzeichnung des Projekts in Athen hatte Erdogan mit der Regierung in Libyen ein umstrittenes Abkommen vereinbart, das die Hoheitsgrenzen im östlichen Mittelmeer zum Nachteil von Griechenland und Zypern festlegte. Die Pipeline war deshalb auch als Instrument im Streit mit der Türkei gedacht.

Dennoch wird aus „EastMed“ wohl nichts werden. In vertraulichen Mitteilungen an Griechenland und Israel, die Anfang Januar an die Presse durchsickerten, kritisierte die US-Regierung die Pipeline als unwirtschaftlich, potenziell umweltschädlich und politisch destabilisierend: Washington werde den Plan nicht mehr unterstützen. Die Biden-Regierung habe mit ihrer Kritik an dem Vorhaben ausgesprochen, was ohnehin bereits jedem klar gewesen sei, kommentierte der zyprische Energie-Experte und Unternehmer Charles Ellinas.

Der türkische Präsident Tayyip Erdogan fühlt sich bestätigt

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sieht sich bestätigt. Die Analysen der Amerikaner hätten ergeben, dass die Pipeline „keine positive Seiten“ habe, sagte er. Auch die Regierungen in Griechenland und Zypern sehen offenbar keine Chance mehr für das Projekt. Die Entscheidung, ob ein Vorhaben wirtschaftlich sinnvoll und technisch machbar sei, liege nicht bei Politikern, sondern bei den Märkten, sagte ein griechischer Regierungssprecher. Der zyprische Präsident Nicos Anastasiades sagte der Zeitung „Kathimerini“, er sei für Alternativen offen, wenn sich „EastMed“ als nicht realisierbar erweise.

Die Suche nach diesen Alternativen läuft bereits. So wird diskutiert, ob Gas aus Zypern, Israel und Ägypten in kürzeren Pipelines über Land an die ägyptisch-libysche Grenze gepumpt werden könnte. Eine Rohrleitung von dort zur griechischen Insel Kreta wäre nur einige hundert statt 1900 Kilometer lang und deshalb billiger.

Rechnen sich neue Pipelines überhaupt noch für Europa?

Fachleute bezweifeln jedoch, dass der Transport von Erdgas über Pipelines aus der Levante nach Europa überhaupt noch sinnvoll ist. Nikos Tsafos von der US-Denkfabrik CSIS verwies in einem Beitrag für „Kathimerini“ auf die Klimaziele der EU: Europa will bis 2050 klimaneutral werden und schon jetzt keine neuen Gas- oder Ölpipelines mehr fördern. Die hohen Investitionskosten für Pipelines durch das Meer werfen die Frage auf, ob sich neue Pipelines für Europa überhaupt noch rechnen können.

Hinzu kommt, dass Israel und Ägypten – die Länder mit den größten Gasvorräten im östlichen Mittelmeer – inzwischen andere Exportwege und Kunden für ihr Gas gefunden haben. Israel exportiert Gas nach Ägypten und seit Anfang des Jahres auch nach Jordanien. Mit amerikanischer Unterstützung soll Gas aus Ägypten bald über Jordanien und Syrien in den Libanon gepumpt werden. Ägypten baut zudem die Ausfuhr von Flüssiggas per Schiff aus und beliefert Länder wie Indien, Pakistan und die Türkei.

Die politischen Spannungen haben nachgelassen

Auch in den politischen Spannungen zwischen der Türkei und ihren Nachbarn, die ein politisches Motiv für „EastMed“ bildeten, gibt es neue Bewegung. Die Türkei und Ägypten sprechen nach jahrelanger Eiszeit wieder miteinander, und zwischen der Türkei und Israel könnte es ebenfalls einen Neuanfang geben. Erdogan kündigte vor einigen Tagen an, der israelische Staatschef Isaac Herzog könnte schon bald die Türkei besuchen. Die Zeit für „EastMed“, sagt Energie-Experte Tsafos, sei vorbei.