In einem hoch emotionalen Dokumentarfilm erhellt Guiseppe Tornatore die Geschichte und das Werk des großen Filmkomponisten Ennio Morricone.

Ennio Morricone steht zwischen vollgestopften Regalen und Papierbergen in seinem Arbeitszimmer und malt mit den Händen Musik in die Luft. Außer dem Filmemacher Guiseppe Tornatore ist niemand da, das Orchester bloß imaginär.

 

Morricone ist zu diesem Zeitpunkt ein Mann von über 90 Jahren, morgens macht er ein bisschen Gymnastik, den Tag verbringt er mit dem Komponieren neuer Musik, erzählt Guiseppe Tornatore in seiner Doku „Ennio Morricone – Der Maestro“. Bewundernswert, diese Disziplin, vielleicht sogar ein bisschen schrullig. Tornatore macht jedoch auch Laien jene spezielle Faszination für die Musik und das Kino nachvollziehbar, die Morricones gesamtes Leben bis zu dessen Tod im Jahr 2020 bestimmt hat.

Schon als Kind ein Profi

Dabei fand der Komponist hinter solchen Filmklassikern wie „Spiel mir das Lied vom Tod“, „Der Clan der Sizilianer“ oder „Cinema Paradiso“ nicht ganz freiwillig seinen Weg ins Metier. Vor Tornatores Kamera erzählt Morricone, wie er als Sohn eines Trompeters dieses Instrument ebenfalls lernen musste, um von klein auf mit seinem Spiel zum Familieneinkommen beizutragen. Lebendig und detailreich schildert der alte Mann, wie er seine Jugend an einer elitären Musikschule verbringt und abends mit dem Vater in Tanzorchestern auftritt.

Die klassische Ausbildung auf der einen, Morricones Auseinandersetzung mit populären Formen der Musik auf der anderen Seite, stürzen den jungen Musiker in einen lebenslangen Konflikt: Morricones Mentor Goffredo Petrassi verachtete Pop- und Filmmusik, die Morricone jedoch nicht nur ernährte, sondern ihm auch internationale Beachtung einbrachte. Dass Morricone sich schon in den 1950ern mit avantgardistischer Kammer- und Orchestermusik einen Namen gemacht hatte, ist heute weniger bekannt als die Tatsache, dass er mit einer einzelnen klagenden Mundharmonika, dunklen Bläser- und Streichersätzen, Panflöten sowie einer E-Gitarre dem Italo-Western Sergio Leones seinen unverwechselbaren Sound verlieh.

Eine Hommage an das Kino selbst

Abseits jenes für Ennio Morricone offenkundig äußerst bedrückenden Lebenskonflikts erhellt Guiseppe Tornatore anhand zahlreicher Beispiele aus der Filmgeschichte, wie der Komponist seine innovativen Klangräume entwickelte. Ausschnitte aus Roland Joffés „The Mission“, Brian De Palmas „Die Unbestechlichen“ oder Elio Petris weniger bekannten „Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“ wirken in Tornatores Zusammenstellung hoch emotional und belegen Morricones musikalische Intelligenz, dessen Empathie und Humor.

So ist „Ennio Morricone – Der Maestro“ nicht bloß das einfühlsame, dokumentarische Biopic einer interessanten Künstlerpersönlichkeit, sondern auch eine Hommage an das Kino selbst. Zur Bestätigung von Morricones Meisterschaft holt Tornatore noch beredte Zeitzeugen vor die Kamera wie Joan Baez, Quentin Tarantino, Clint Eastwood und sogar James Hetfield von Metallica. Die lassen zur Eröffnung ihrer Konzerte traditionell Morricones „The Ecstasy of Gold“ laufen aus dem Leone-Western „The Good, the Bad and the Ugly“.

Die respekt- und liebevollen Anekdoten der Stars zeigen, wie wirkungsmächtig Morricones Werk bis heute ist – die Filme selbst hingegen geraten schon in Vergessenheit.

Ennio Morricone – Der Maestro. Italien 2021. Regie: Guiseppe Tornatore. 156 Minuten. Ab 12 Jahren.