Spätkeltische Brunnen: Archäologen präsentieren beeindruckende Ergebnisse ihrer Grabungen.

Renningen - Man stößt bei uns jeden Moment auf eine historische Scherbe, wenn man mit der Gabel am Boden kratzt“, sagte der Bürgermeister Wolfgang Faißt zu den rund 150 Zuhörern im Bürgerhaus, die wissen wollten, was es mit den Grabungsfunden im Gewerbegebiet Raite auf sich hat. Schließlich hatte man schon öfter bei der Erschließung von Baugebieten in der Stadt Spuren früherer Besiedlungen gefunden, etwa im Schnallenäcker eine Siedlung aus der Hallstatt-Zeit um 500 vor Christus oder einen römischen Gutshof. Die Stadt und der Stadtarchivar Mathias Graner hatten die Archäologen Gerd Stegmaier und Sascha Schmidt aus Tübingen eingeladen, deren Firma Fodilus GmbH im Auftrag des Landesdenkmalamtes die rund vier Hektar große Fläche zwischen Renningen und Malmsheim vor Baubeginn auf historische Überreste untersuchte. „Sie sehen sehr außergewöhnliche Dinge“, sagte Gerd Stegmaier denn auch gleich zu Beginn der Vorträge.

 

Von Februar bis August 2017 waren die Wissenschaftler auf der 40 000 Quadratmeter großen Fläche aktiv. Sie unternahmen eine Vielzahl von Probegrabungen, wobei zunächst die oberen Erdschichten entfernt wurden. „Pro 1000 Quadratmeter dauert das etwa zwei bis drei Tage“, sagte Sascha Schmidt, der mit seinem Team vor Ort die Untersuchungen leitete. Und die Fachleute wurden fündig. Eine Siedlung aus spätkeltischer Zeit tat sich vor ihnen auf. Diese Epoche von etwa 450 bis 15 vor Christus wird heute die Latènezeit genannt und entspricht der jüngeren Eisenzeit. „Renningen liegt mitten im Kerngebiet dieser Latènekultur“, sagte Gerd Stegmaier und zeigte eine Karte, auf der sich die Kelten über große Teile Süddeutschlands und Europas ausbreiteten.

„Der Zeitplan ist im Eimer“

Die Archäologen stießen nicht nur auf zahlreiche Pfostenlöcher, die auf Wohn- und Vorratsgebäude schließen lassen, sondern auf zwei ungewöhnliche Funde. „Am 2. März stand ich vor einer ganz besonderen Grube und wusste, dass der Zeitplan im Eimer ist“, sagte Sascha Schmidt. „Das müssen Sie dem Investor erst einmal erklären“, fügte er augenzwinkernd hinzu. Doch die Stadt habe es gefasst aufgenommen. Denn die Forscher hatten einen Brunnen entdeckt. Die eigentliche Sensation aber zeigte sich erst, als sie an diesem weitergruben. Denn man fand darin Reste von Holz, was ganz selten vorkomme, so Schmidt. Tief unten im Brunnen lag ein Holztrog, der wohl Teil einer Tränke gewesen war und auf das Jahr 120 v. Chr. datiert wurde. Außerdem kamen gedrechselte Holzteile, die wahrscheinlich zu einem Möbelstück gehörten, zum Vorschein. Diese Funde seien eine der seltenen Möglichkeiten, ein Fenster öffnen zu können in die Lebens- und Handwerksformen jener Zeit.

Doch das war noch nicht alles. Man stieß nämlich noch auf einen zweiten Brunnen. Auf dessen Grund lagen drei Kuhschädel, die zum Versenken mit Steinen beschwert worden waren. Warum die tierischen Überreste hineingeworfen wurden, können die Forscher nicht mit Sicherheit sagen. Möglich sei, um den Brunnen auf diese Weise zu vergiften, möglich seien aber auch rituelle Handlungen. Fest steht, dass beide Brunnen zugeschüttet wurden, sodass sie nicht mehr zu benutzen waren.

Jetzt beginnen die Auswertungen

Was passierte mit dieser Siedlung und den Menschen, die dort vor 2000 Jahren lebten? Gerd Stegmaier wies auf ein Phänomen hin, das sich um etwa 100 v. Chr. abgespielt habe: Viele der späten Kelten haben ihre Siedlungen systematisch geräumt. Die Gründe kenne man nicht genau. Es werde vermutet, dass sich manche den umherziehenden Kimbern und Teutonen angeschlossen haben. Die Kimbern und die mitziehenden Kelten seien später in Oberitalien von den Römern vernichtend geschlagen worden, und man habe nichts mehr von ihnen gehört.

Doch in Renningen haben die frühen Siedler Außergewöhnliches hinterlassen, nämlich die ersten gefundenen spätkeltischen Brunnen in einer offenen Siedlung. Durch die Holzfunde lasse sich die Zeit genau datieren. „Wir stehen mit unseren Auswertungen erst am Anfang“, sagte Gerd Stegmüller. Aber klar sei jetzt schon, dass Renningen wegen dieser Funde in die Geschichte eingehen werde.

Für den Bürgermeister Wolfgang Faißt und die Stadt immerhin ein Trost, musste die Kommune doch für die archäologischen Untersuchungen rund 470 000 Euro berappen. „Die Grabungen in der Raite sind uns lieb und teuer“, hatte Faißt gleich zu Anfang gesagt. „Lieb, weil sie uns neue Aufschlüsse über unsere Vorfahren geben und teuer, weil wir schon alle Grundstücke gekauft hatten und so die Grabungen bezahlen mussten.“