Das Epstein-Barr-Virus kann etwa Krebs und Multiple Sklerose begünstigen. Wer sich in jungen Jahren infiziert, ist vor solch schweren Erkrankungen oft geschützt – nur trifft das hierzulande auf wenige zu. Warum das so ist und wie eine Impfung helfen könnte, erklärt Mediziner Wolfgang Hammerschmidt.

Die meisten Erwachsenen tragen ihr Leben lang ein Virus in sich, von dem sie nichts merken: Das Epstein-Barr-Virus ist so verbreitet, dass sich fast jeder damit infiziert. Virologe Wolfgang Hammerschmidt vom Helmholtz-Zentrum München erzählt, warum das Virus so gefährlich ist.

 

Herr Hammerschmidt, fast jeder infiziert sich mit dem Epstein-Barr-Virus, meist führt das aber zu keiner Erkrankung. Wie passt das zusammen?

Man weiß nicht, warum das Virus manche Leute krank macht, die Mehrheit aber nicht. Es gibt nur eine Konstellation, in der der Zusammenhang eindeutig ist: nämlich bei der Infektiösen Mononukleose. Sie wird auch Pfeiffersches Drüsenfieber oder Kissing Disease – also Küsskrankheit – genannt, weil man sich vor allem beim Küssen ansteckt. Die Krankheit ist wohlbekannt, wird aber unterschätzt – sowohl hinsichtlich der Häufigkeit als auch ihres Schweregrads.

Wird sie also öfter nicht erkannt?

Kaum jemandem ist klar, wie häufig diese Erkrankung ist. Wir können davon ausgehen, dass etwa 80 Prozent aller Menschen bis zu ihrer Pubertät mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) in Kontakt gekommen sind. Meist erfolgt die Infektion im Baby- oder Kleinkindalter, ohne dass Symptome auftreten. Diese Menschen bekommen kein Pfeiffersches Drüsenfieber. Das Problem sind die restlichen 20 Prozent, die in die Pubertät kommen, sexuell aktiv werden und sich dann durch einen Partner, der EBV-positiv ist, infizieren. Die Wahrscheinlichkeit, dann Pfeiffersches Drüsenfieber zu bekommen, beträgt mindestens 25 Prozent, einige Arbeiten sprechen sogar von über 50 Prozent.

Wäre es also besser, wenn sich alle schon im Kindesalter anstecken würden?

Ja. Anders als in Industrieländern infizieren sich in Entwicklungs- und Schwellenländern fast alle Babys und Kleinkinder mit EBV. Folglich gibt es das Pfeiffersche Drüsenfieber dort praktisch gar nicht. Die sogenannte Erste Welt hat hier also einen klaren Nachteil. Wahrscheinlich spielt dabei Hygiene eine Rolle. Für uns ist Kiss Feeding undenkbar – also dass Mütter Nahrung vorkauen und dem Baby direkt verabreichen. Eigentlich ist das etwas ganz Normales und auch heute noch in einigen Kulturen verbreitet. Es gibt keine Daten dazu, es ist aber eine plausible Theorie, weshalb sich in traditionellen Gesellschaften nahezu alle Kinder sehr früh mit EBV anstecken, bei uns aber nicht.

Warum ist das Pfeiffersche Drüsenfieber so gefährlich?

Zunächst einmal: Die Krankheit ist komplett unterschätzt. Sie kann sich wochenlang hinziehen. Jedes Jahr müssen deswegen mehrere Tausend Menschen in Deutschland ins Krankenhaus. Es kann nämlich zu Verengungen der oberen Atemwege, in seltenen Fällen auch zu extrem gefährlichen Milzrissen kommen. Auch eine akute Hepatitis ist ohne Weiteres drin. Viele junge Leute erwischt es in einer kritischen Phase – in der Ausbildung, in der Oberstufe, kurz vor dem Abitur, im Erstsemester. Bei Leistungssportlern kann Pfeiffersches Drüsenfieber das Ende der Karriere bedeuten. Hinzu kommt, dass Folgeerkrankungen auftreten können. Bei zehn bis 15 Prozent aller Fälle kommt es zum chronischen Müdigkeitssyndrom. Es kann dann sein, dass man zwei Jahre krank ist oder sich extrem beeinträchtigt fühlt.

Steigt auch das Risiko, an Multipler Sklerose (MS) zu erkranken?

Zwischen EBV und Multipler Sklerose gibt es einen klaren Zusammenhang. Jemand, der EBV-negativ ist, wird niemals Multiple Sklerose bekommen. Also: Alle Menschen, die MS haben, sind auch EBV-positiv. MS tritt allerdings auch bei Menschen auf, die nicht an Pfeifferschem Drüsenfieber erkrankt waren. Hat man diese Krankheit aber durchgemacht, ist das Risiko, jung an Multipler Sklerose zu erkranken, drei- bis fünfmal so hoch.

Sie arbeiten an einer Impfung. Wann wird sie auf den Markt kommen?

Es gibt mittlerweile mehrere Aktivitäten weltweit. Wir am Helmholtz-Zentrum München entwickeln einen Impfstoff, der frühestens 2025 oder 2026 in die relevante Phase der klinischen Prüfung gehen wird. Wir setzen bei unserem Kandidaten auf virusähnliche Partikel. Sie signalisieren dem Immunsystem eine EBV-Infektion und lösen so eine breite Abwehrreaktion aus. Dadurch soll das Immunsystem vorbereitet sein, wenn es in der Pubertät erstmals mit dem Virus in Kontakt kommt.

Wer soll eines Tages geimpft werden?

Es macht Sinn, EBV-negative Kinder zu impfen, die vor der Pubertät stehen. Wie bei der Impfung gegen Humane Papillom-Viren werden das Neun- bis 14-Jährige sein. Sie sollen einen Immunschutz bekommen, bevor sie sexuell aktiv werden und möglicherweise an Pfeifferschem Drüsenfieber erkranken. Eine Impfung ist aber auch für EBV-negative Heranwachsende und junge Erwachsene angeraten. Ob jemand bereits Kontakt zu EBV hatte, lässt sich mit einem einfachen Bluttest feststellen.

Der Impfstoffforscher

Wissenschaft
Der Virologe und Immunologe Wolfgang Hammerschmidt (66) leitet das „EBV Vaccine Development“ Team am Helmholtz Zentrum München. Er erforscht das Epstein-Barr-Virus und dessen Beitrag zu verschiedenen Krankheiten seit vielen Jahren und arbeitet zusätzlich an einem EBV-Impfstoff.