Die Grünen-Politikerin Muhterem Aras sieht in der geltenden Visumspflicht eine Hürde für schnelle humanitäre Hilfe. Opfer des Erdbebens, die bei Verwandten in Deutschland unterkommen könnten, solle pragmatisch geholfen werden.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Die baden-württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras dringt auf eine Erleichterung der Visumspflicht für die Erdbebenopfer im türkischen-syrischen Grenzgebiet. Dadurch solle ermöglicht werden, dass Menschen in Deutschland Angehörige, die von der Naturkatastrophe betroffen sind, für einen begrenzten Zeitraum zu sich holen können. Die vom Bundesinnenministerium und dem Auswärtigen Amt vorgegebenen Richtlinien hätten zwar ihre Berechtigung, „sind in der gegenwärtigen Notsituation aber nicht praktikabel“, sagte Aras unserer Zeitung. Angesichts des ungeheuerlichen Ausmaßes der Katastrophe sollte die Visumspflicht so gestaltet werden, „dass die Betroffenen einreisen können, ohne alle Kriterien erfüllen zu müssen“. Von Menschen, die alles verloren haben, könne man nicht verlangen, dass sie ihren Pass griffbereit haben. Schon in normalen Zeiten betrage die Bearbeitung von Visaanträgen rund zwei Monate. Die zuständigen Stellen seien massiv überlastet.

 

„Ein wichtiges Zeichen auch die hier lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln“

Die Grünen-Politikerin fordert pragmatische Lösungen, „die den Menschen schnell helfen“. Als eine Möglichkeit schlägt sie vor, die Verfahren nicht in der Türkei, sondern in Deutschland abzuwickeln. Obwohl es sich um eine hoheitliche Aufgabe handle, sollte darüber nachgedacht werden, wie die Zivilgesellschaft sich dabei einbringen kann. Namentlich nennt sie die Welcome Center. Wenn man dazu aufrufen würde, dort mitzuhelfen, stünden sicher viele Menschen bereit. „Wir als Politiker müssen die Rahmenbedingungen schaffen, dass sich die Zivilgesellschaft in dieser Notlage engagieren kann“, sagte Aras. Entscheidend dafür sei der politsche Wille. Die Grünen-Politikerin erinnerte an die Sonderkontingente für verfolgte Jesidinnen aus Syrien und dem Irak. „Da hat das Visumverfahren auch keine Rolle gespielt.“ Aras betont, eine solche humanitäre Geste wäre auch „ein wichtiges Zeichen an die hier lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln“.

Mit ihren Äußerungen reagiert Aras auf Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und des Bundesinnenministerium. Dessen Sprecher hatte unserer Zeitung gesagt: Die türkische und syrische Staatsangehörige bräuchten allerdings auch in dieser Notsituation ein gültiges Visum, wenn sie nach Deutschland kommen wollen. Grundlage für die Visavergabe sei der Visakodex der EU. Mit dem Auswärtigen Amt stimme man sich ab, was angesichts der besonderen Situation angemessene Rahmenbedingungen sein könnten.

Schweigeminute im Stuttgarter Gemeinderat

Laut Außenamt können Erdbebenopfer, die bei ihren Angehörigen in Deutschland unterkommen wollen, ein Besuchsvisum für 90 Tage beantragen. Dafür müssten sie eine Einladung vorlegen und Nachweise über die nötigen finanziellen Mittel für die Reise erbringen und eine Reisekrankenversicherung erbringen. Die Antragsteller müssten zudem ihre Absicht erklären, vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums den Schengenraum wieder zu verlassen. Gleichzeitig betonte das Auswärtige Amt: „Unsere Visastellen werden im Rahmen des Visumverfahrens die schwierige humanitäre Situation vor Ort berücksichtigen.“

Das verheerende Erdbeben vom Montag war am Donnerstag auch Thema im Stuttgarter Rathaus. Der Gemeinderat eröffnete seine Sitzung mit einer Schweigeminute für die Opfer der Naturkatastrophe.