Abends bittet Özgür Kavak in den Sozialen Medien um Sachspenden für die Türkei und Syrien – gleich am nächsten Tag stapeln sich schon Kisten. Am Wochenende sollen diese in die Katastrophengebiete gehen.

Eigentlich, berichtet Juniorchef Yasin Is, geht er nicht ans Telefon, bevor der Lazo Markt, das Lebensmittelgeschäft seines Vaters in Leonberg, um acht Uhr morgens seine Türen öffnet. Am Morgen nach dem Erdbeben, das die Türkei und Syrien erschütterte, klingelt das Telefon schon um sieben Uhr – so permanent, dass er den Hörer schließlich doch abnimmt. „Da hab ich dann auch von der Spendensammlung erfahren.“

 

Leonberger spenden innerhalb eines Tags

Still stehen sollte das Telefon auch über den restlichen Tag nicht. Sein Kollege Özgür Kavak hatte über die Sozialen Medien am Vorabend zum Spenden aufgerufen und besonders nach warmer Kleidung, Decken und Schlafsäcken gefragt. Und die Leonberger liefern: Um kurz vor 16 Uhr stapeln sich Säcke voller Kleidung und Kartons mit Lebensmitteln, Windeln und Babynahrung schon meterhoch.

„Ich habe gehört, Sie brauchen Sachen?“ fragt eine Frau – und drückt Kavak und Is prompt eine Einkaufstüte voller Decken in die Hand. „Meine Schwägerin aus Syrien hat den Spendenaufruf in unsere Familiengruppe auf Whatsapp gepostet“, berichtet eine andere Leonbergerin, die zur Spendensammlung Kleidung, Kissen und Decken mitgebracht hat. „Man macht, was man kann“, sagt ein Nachbar, der im Laden mehrere Dutzend Dosen mit Lebensmitteln gekauft hat und sie mit Hilfe von Yasin Is in Plastikfolie einwickelt. „Jeder versucht, seinen Part zu machen.“ Couscous, Mehl und Dosentomaten landen auf dem Stapel. Und etwas Shisha-Tabak – für eine kleine Freude inmitten einer furchtbaren Realität.

Der Juniorchef hat schon einmal selbst ein Erdbeben erlebt

Nur einen Tag lang sollen die Spenden gesammelt werden, dann holen Cousins von Özgür Kavak die Lieferung ab und fahren, wahrscheinlich am Wochenende, mit zwei Lastwagen in Richtung Türkei. Die Cousins waren es auch, die Kavak nach Sachspenden gefragt hatten. Er teilte den Aufruf spontan auch mit seinen Kunden. Kavak hat Familie in der betroffenen Region: „Der geht es gut“, sagt er. „Aber von Bekannten von uns, Eltern mit vier Kindern, haben wir noch nichts gehört.“ Dass jetzt geholfen wird, ist für ihn selbstverständlich. „Die Leute in den Gebieten, in denen alles platt ist, brauchen extrem dringend Hilfe“, sagt Kavak. „Sie sind auf der Straße, und es ist Winter.“

Auch bei Yasin Is ist das Mitgefühl groß – besonders, weil er selbst ein Erdbeben erlebt hat, als er 24 Jahre alt war. Beim Erdbeben von Gölcük im Jahr 1999 sind knapp 20 000 Menschen gestorben. Schrecklich sei das damals gewesen, sagt der Juniorchef. „Was wir erlebt haben, was wir gesehen haben. Ich kann mir sehr gut vorstellen, was die Leute gerade mitmachen.“

Immerhin: Die Hilfe komme heute deutlich schneller als damals, so Is. Das mag auch einer vernetzten Welt zu verdanken sein, in der schreckliche Bilder von einstürzenden Häusern und verletzten Menschen bereits kurz nach dem ersten Erdbeben auch in Deutschland angekommen sind – und hier die Anteilnahme fördern, sodass die Leonberger reichlich spenden. Die Zustände in der Türkei und in Syrien sind auch immer wieder Gesprächsthema, während Spenden verpackt und Kisten gestapelt werden. Dass die Menschen in Moscheen schlafen, weil ihre Häuser nur noch Schutt und Asche sind, sagt der eine. Dass die Menschen insbesondere in Syrien mit Gartenwerkzeugen in den Überresten der Gebäude graben, weil es nicht ausreichend große Gerätschaften gibt.

Jedes bisschen hilft

Währenddessen fahren weiterhin im Minutentakt Leonbergerinnen und Leonberger vor, an der Ecke der Leonberger Straße, die ohnehin stark befahren ist, stauen sich die Autos an diesem Nachmittag noch mehr als sonst. Dass so viele Menschen kommen, überrascht auch die beiden Organisatoren. „Mit diesem Ausmaß haben wir nicht gerechnet“, so Is. „Danke an die Leute aus Leonberg“ sagt Kavak. „Es ist nicht viel, aber wenigstens etwas“, ergänzt er noch, mit Blick auf den beachtlichen Haufen an Spenden. Im Vergleich zum Ausmaß des Unglücks könnte der wahrscheinlich gar nicht groß genug sein.