Massiv ist die Justiz gegen einen Rechtsanwalt vorgegangen, der auch eine Klage gegen Minister Stickelberger verfasst hat. Doch alle Versuche, seine Justizkritik zu ahnden, scheiterten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Vorwürfe gegen Rainer Stickelberger (SPD) könnten auch von Kritikern aus der grün-roten Koalition stammen. Schon seit Oppositionszeiten, wird ihm attestiert, wisse er um Missstände vor allem in der Stuttgarter Justiz. Doch als Justizminister unternehme er nichts, um gegen die in 58 CDU-Regierungsjahren entstandene „Verfilzung“ anzugehen. Anstatt eine Task Force zu bilden und wichtige Schlüsselstellen neu zu besetzen, lasse er alles beim Alten. Das in Jahrzehnten gewachsene „System“, mit dem sich einige Richter und Staatsanwälte gegenseitig schützten, bleibe unangetastet.

 

Tatsächlich wundern sich manche grün-rote Koalitionäre, wie nahtlos der SPD-Ressortchef an die Tradition seiner CDU- und FDP-Vorgänger angeknüpft hat; vor allem personell setze er kaum eigene Akzente. Doch während sie solches nur hinter vorgehaltener Hand äußern, steht die zitierte Kritik in einer beim Landgericht Freiburg vorliegenden Zivilklage. Eingereicht wurde sie von einem Baseler Unternehmen namens The Law Advisor AG, das mit erworbenen Forderungen Geschäfte macht. Wegen Amtspflichtverletzung verklagte es nicht nur Stickelberger, sondern auch gleich noch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Innenminister Reinhold Gall (SPD) auf zunächst 5000 Euro – gewissermaßen als Anzahlung auf den gesamten Schaden von angeblich 540 000 Euro.

Justizminister: an Vorwürfen ist nichts dran

In dieser Höhe habe man „sinnlose Aufwendungen“ für Gerichts- und Anwaltskosten getätigt, sinnlos wegen der behaupteten Missstände in der Stuttgarter Justiz. Hintergrund sind Verfahren unter anderem um die Kreissparkasse Ludwigsburg, die sich seit Jahren hinziehen (siehe Infoelement). Gegen Kretschmann & Co geht die Firma vor, weil sie „das schwere Erbe der CDU-geführten Landesregierungen“ nicht aufgearbeitet hätten; in diesem Zusammenhang wird auch auf den EnBW-Deal und den Polizeieinsatz im Schlossgarten verwiesen. Es gehe nicht nur um den eher symbolischen Betrag, sondern um das teilweise verlorene „Vertrauen der Bürger in die Justiz des Landes“, heißt es in der Begründung.

Der Ministerpräsident und die Minister haben die Sache einer Anwaltskanzlei übergeben. Diese beantragte umgehend, die Klage abzuweisen. Zentrale Begründung: Es gebe keine Haftung der Regierenden persönlich, Schuldner sei gegebenenfalls der Staat. Die bereits im Frühjahr 2013 eingereichte Klage laufe daher „ins Leere“, sagte Stickelberger im Mai; an den Vorwürfen sei nach seiner Einschätzung „nichts dran“. Kretschmann bestätigte im April lediglich, von dem Vorgang zu wissen; er habe diesen „an meine Beamten weitergeleitet“.

Strafanzeigen einfach nicht weitergeleitet

Beim Landgericht Freiburg, das wegen Stickelbergers Wohnort Lörrach kontaktiert wurde, schleppt sich die Angelegenheit zäh dahin. Man habe „das schriftliche Vorverfahren angeordnet“, sagte ein Gerichtssprecher zunächst; später hieß es, nun werde ein Befangenheitsantrag geprüft. Ein Termin für die mündliche Verhandlung sei „weder bestimmt noch absehbar“. Entgegen seiner eigenen Ankündigung sah das Gericht davon ab, in der Klageschrift enthaltene Strafanzeigen an die zuständige Staatsanwaltschaft weiterzuleiten – ohne jede Begründung.

Ungleich mehr Aktivitäten entfaltete die Justiz ziemlich genau in der gleichen Zeit mit einer ganz anderen Stoßrichtung: gegen jenen Frankfurter Rechtsanwalt namens Torsten Meißner nämlich, der im Auftrag des Law-Advisor-Vertreters Christian Langreuter die Freiburger Klage formuliert hat und das Unternehmen auch im Zivilprozess vor dem Landgericht Stuttgart vertritt. Dort monierte Meißner einen fraglos irritierenden Vorgang: mit einer Klage des Unternehmens war zunächst eine Richterin befasst, deren Ehemann als Rechtsanwalt einen der Beklagten vertrat. Für beide sei das klar erkennbar gewesen, später kam es zu einer Selbstablehnung. Seinem Mandanten habe dies verschwiegen werden sollen, beschwerte sich Meißner, und zwar durch ein „planvolles Zusammenwirken“ der zuständigen Kammermitglieder. Es gehe um Rechtsbeugung, Betrug und Strafvereitelung.

Attacke des Chefrichters wird zum Rohrkrepierer

Diese Vorwürfe nahm der damalige Landgerichtspräsident Franz Steinle zum Anlass, um massiv gegen den Anwalt vorzugehen. Er erstattete Anzeige wegen aller möglichen Straftatbestände bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart und reichte eine Beschwerde bei der Rechtsanwaltskammer in Frankfurt ein. Dies sei „ein Vorgang, der zwar sehr selten vorkommt, jedoch nicht außergewöhnlich ist“, sagte ein Sprecher des Landgerichts der Stuttgarter Zeitung; Steinle habe „im Rahmen seiner Fürsorgepflicht“ gehandelt.

Mit dem Vorstoß leistete er indes genau jenem Eindruck Vorschub, der auch in der Freiburger Klage formuliert wird: dass sich die Justiz mit Kritik und Selbstkritik schwer tue. Doch die Attacke wurde für den inzwischen höchsten Richter Württembergs zum Rohrkrepierer, beide Anläufe scheiterten. Schon nach einem Vierteljahr wies die Anwaltskammer die Beschwerde zurück: für berufsrechtliche Maßnahmen gebe es keine Grundlage. Rechtsanwälten seien „auch starke, eindringliche Ausdrücke . . . erlaubt“, wurde Steinle beschieden. Sie dürften sogar „ad personam argumentieren“, solange es noch um eine sachliche Auseinandersetzung mit Rechtsfragen gehe. Die Grenze zu einer reinen Schmähkritik sehe man im vorliegenden Fall „als (gerade noch) nicht überschritten an“.

Staatsanwaltschaft scheitert mit Strafbefehl

Mehr Erfolg hatte Steinle zunächst bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Während Anzeigen von Langreuters Law Advisor dort regelmäßig ins Leere liefen, wurden die Ermittler gegen die Justizkritiker umgehend aktiv. Zunächst versuchten sie das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Frankfurt abzugeben; dort seien auch „etwaige Durchsuchungsmaßnahmen zu tätigen“. Doch die Hessen lehnten die Übernahme rundweg ab und äußerten ihr Unverständnis über die angeregte Razzia, „noch dazu bei einem Rechtsanwalt“. Also machten sich die Stuttgarter wieder an die Arbeit und beantragten schließlich einen Strafbefehl gegen Meißner: Wegen Beleidigung der Richter in drei Fällen solle er eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen bezahlen. Doch das Amtsgericht Stuttgart weigerte sich, den Strafbefehl zu erlassen. Die Äußerungen des Anwaltes seien zwar „in keinster Weise in dieser Form angebracht oder angemessen“ gewesen, fielen aber unter das Grundrecht auf Meinungsfreiheit; die Grenzen zur Schmähung seien „noch nicht überschritten“.

Eine Beleidigung scheide aus, zumal die Vorwürfe im Kontext der Irritationen um die Richterin zu sehen seien. Generell, wird in dem Beschluss konstatiert, bestehe an einer unparteilichen und objektiven Rechtsprechung ein derart „überragendes öffentliches Interesse“, dass Kritiker nicht durch das Risiko einer möglichen Strafverfolgung eingeschüchtert werden dürften.

Auch Beschwerde bleibt erfolglos

So sah es auch das Landgericht, bei dem die Staatsanwaltschaft sofort Beschwerde eingelegt hatte. Die zuständige Kammer, die sich damit indirekt gegen ihren früheren Präsidenten Steinle stellte, wertete die Äußerungen kurz vor Weihnachten zwar „als Unverschämtheit und Geschmacklosigkeit“. Strafbar seien sie indes nicht, da keine „persönliche Schmähung oder Diffamierung“ vorliege. Anwälte dürften vermeintliche Verfahrensverstöße im Interesse ihrer Mandanten „möglichst drastisch und plakativ“ schildern. Die Kosten für beide Verfahren trägt übrigens die Staatskasse – ebenso wie die Auslagen, die dem Angeschuldigten dadurch entstanden sind.