Keine andere Schauspielerin ist so oft im Fernsehen zu sehen wie die Vollweibdarstellerin Christine Neubaueraus aus Bayern.

Stuttgart - Neulich stand sie etwas verloren bei Tengelmann in der Gemüseabteilung, zwischen festkochenden Kartoffeln und griechischem Spargel, und propagierte "Genuss ohne Reue". Eine denkwürdige Begegnung - mit einem lebensgroßen Pappaufsteller. Was hatte Christine Neubauer im Supermarkt verloren? Und was sollten ihre Fans reuelos genießen? Die Kartoffeln oder ihre neuen Filme? Christine Neubauer, Deutschlands erfolgreichste Schauspielerin, ist derzeit allgegenwärtig. Man trifft sie im Supermarkt, man hört ihre Stimme im Radio, wo sie ebenfalls für die Supermarktkette wirbt. Und man begegnet ihr auf der Mattscheibe.

 

Die Neubauer-Festspiele begannen kürzlich mit der "Minensucherin"; in dem ZDF-Film spielte sie eine traumatisierte Frau in der Mitte des Lebens, die in Angola mit dem Aufräumen nach dem Bürgerkrieg beginnt. Nun verwandelt sie sich in "Gottes mächtige Dienerin". Der ARD-Oster-Zweiteiler erzählt die wahre Geschichte der bayerischen Ordensschwester Pascalina (1894 bis 1983), die 1939 als Haushälterin von Papst Pius XII. in den Vatikan einzog, als erste Frau in der Geschichte. Am Montag sieht man sie in einer Rolle, in der sie ihr komödiantisches Talent ausspielen kann: als Hochstaplerin in der ZDF-Komödie "Lügen haben linke Hände".

Phänotyp des Vollweibs

Keine andere deutsche Schauspielerin ist so oft im Fernsehen zu sehen wie sie. Mag sie auch darauf hinweisen, dass sich ihr Pensum mit einer Handvoll neuer Filme pro Jahr im Rahmen bewegt - die zahllosen Wiederholungen alter Neubauer-Filme ergeben ein anderes Bild. Allein 2009 brachten alle 115 ausgestrahlte TV-Produktionen mit ihr 10 373 Sendemminuten zusammen. Damit könnte man eine ganze Woche lang das Programm eines Senders bestücken. Eine beängstigende Vorstellung, sogar für ihre Fans. Noch schreiben sie ihr ins Gästebuch, wie "begehrenswert" und "erotisch" sie sie finden. Es kostet jedoch nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, was von dieser Verehrung übrig bliebe, wenn der Hype nicht abreißt: Und ewig grüßt die Neubauer.

Sie sagt, die Wiederholung der Filme bereite ihr selber "Magengrummeln". Schließlich träume sie von einer Kinorolle. Wer will sie noch auf der Leinwand sehen, wenn ihre Omnipräsenz schon im Fernsehen nervt? Berücksichtigt man, dass ihr Repertoire zwar breit gefächert ist, dass aber durch beinahe jede Rolle der Phänotyp des Vollweibs durchschimmert, das wahlweise mit seinen Rundungen kokettiert oder seinen Weg ohne Rücksicht auf Konventionen geradeaus geht, relativiert sich der Eindruck ihrer Vielseitigkeit.

Christine Neubauer ist Quotenrenner

In der ARD-Pressestelle gesteht man, dass man bei der Besetzung von "Gottes mächtiger Dienerin" auf die Bekanntheit der Hauptdarstellerin gesetzt habe. "Solche Filme haben eine größere Erfolgschance", sagt ein Sprecher. Dabei, klagen Regisseure, könnte es sich gerade das gebührenfinanzierte Fernsehen leisten, bei der Besetzung mehr auf das Profil der Darsteller zu achten statt nach der Quote zu schielen. Das offen auszusprechen, hat sich bislang nur eine getraut: Doris Dörrie. 2010 ließ sich die Regisseurin in Interviews zu der Bemerkung hinreißen, der Erfolg der Christine Neubauer sei symptomatisch für die krankhafte Quotenfixierung von ARD und ZDF. "Das ist das Totschlagargument der gesamten Branche: Die Deppen da draußen wollen es so, und wir hier drinnen mit Abitur geben ihnen, was sie brauchen."

Wohin das führen kann, zeigte "Die Minensucherin". "Erschreckend undifferenziert" fanden Kritiker den Plot und die Darstellung der Hauptrolle. Es hieß, Neubauer fehle jeder Sinn für Authentizität. Der Film erreichte mehr als vier Millionen Zuschauer. Genug, um die Verrisse zu ignorieren? Marcus O. Rosenmüller sagt, ihm sei die Regie des Filmes im Paket mit Christine Neubauer angeboten worden. "Ohne sie hätten wir den Film nicht durchbekommen." Er schätze sie für ihre Präzision, ihre Disziplin, ihre Kollegialität. Doch in einem Film über das Erbe des angolanischen Bürgerkriegs sei sie von einigen Kritikern als bayerische Volksschauspielerin doch eher fehl am Platz angesehen worden.

Sie soll kratzbürstiger sein

Sahen die Zuschauer das tatsächlich anders? Oder darf man nicht auch ihnen ein Gespür für Authentizität unterstellen? Für die Produzentin Regina Ziegler stellen sich solche Fragen nicht. "Wir arbeiten in erster Linie für unser Publikum." Nach dem Erfolgsgeheimnis der Schauspielerin befragt, liefert sie unbeabsichtigt den Beweis, dass auch dieser Zuschauerliebling austauschbar ist. "Sie hat das Publikumsgen. Die Leute mögen sie, weil sie wie sie und zugleich ein bisschen anders ist."

Wer aber ist die Frau hinter der Doppelrolle? Ausgerechnet als "Gottes mächtige Dienerin" lugt sie einmal kurz unter ihrem Nonnenschleier hervor. Da pflaumt sie eine Schwester an, sie müsse die Rotweinflecken auf der Soutane des päpstlichen Gesandten mit Natron entfernen. Rosenmüller sagt, er habe Neubauer ermutigt, kratzbürstiger zu sein, als es das Drehbuch erlaubte. Die Anregung habe sie dankbar aufgenommen. Bei der ARD hätten sie zwar geschluckt, aber er habe nichts glätten müssen.

ARD: "Gottes mächtige Dienerin", Karfreitag und Ostersamstag, jeweils 20.15 Uhr;

ZDF: "Lügen haben linke Hände", Ostermontag, 20.15 Uhr