Die Gedenkfeier in der Stuttgarter Domkirche St. Eberhard hat gezeigt: Eugen Bolz ist keine historische Gestalt ist, sondern auch im Jahr 2020 höchst aktuell.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - In Anwesenheit von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dem früheren Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster und einiger Angehöriger bei gleichzeitiger Abwesenheit nahezu des gesamten Landtags ist am Donnerstag in der Domkirche St. Eberhard des früheren württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolzgedacht worden, der vor genau 75 Jahren, am 23. Januar 1945, in Berlin-Plötzensee von den Nationalsozialisten hingerichtet worden ist. An die Gedenkstunde schloss sich eine Kranzniederlegung am Eugen-Bolz-Denkmal am Königsbau an. Zeitgleich fand in Rottenburg, dem Geburtsort von Eugen Bolz, eine Gedenkveranstaltung statt.

 

Die Domkirche St. Eberhard war bewusst gewählt worden, um an Bolz zu erinnern. Hier hatte er seine kirchliche Heimat. Eine Glocke der Domkirche trägt seinen Namen, eine weitere ist dem in Stuttgart geborenen Jesuitenpater Rupert Mayer gewidmet, der ebenfalls ein entschiedener Hitler-Gegner war.

Kretschmann: Heute braucht es kein Märtyrertum, aber Zivilcourage

In einer leidenschaftlich vorgetragenen Ansprache würdigte Kretschmann Bolz in der halb vollen Kirche als „aufrechten Menschen und überzeugten Parlamentarier, der sich von Vernunft, Moral und seinem Gewissen leiten ließ“. Als württembergischer Justiz- und Innenminister habe er sich mit den Feinden der Weimarer Republik angelegt. „Bolz hat uns gezeigt, was es heißt, unerschrocken für Freiheit, Menschenwürde und Recht einzustehen“, sagte Kretschmann. Der Freiheitsgedanke sei für ihn zentral gewesen. „Bolz war ein Verfechter der Grundrechte, der Verfassungsordnung und des Rechtsstaates“, betonte der Ministerpräsident und schlug einen Bogen bis zur Gegenwart. Auch heute werde die Demokratie von innen und außen angegriffen. „Deshalb braucht es wieder Menschen, die für unsere Grundrechte einstehen und unsere Ordnung verteidigen.“ Heute sei aber kein Märtyrertum notwendig, „sondern bloß Zivilcourage“. Als „Vorbild des aufrechten Ganges“ sei Bolz bis heute wichtig. „Deshalb verneigen wir uns heute vor ihm.“

Stadtdekan beklagt Hassparolen und Hetze

Der katholische Stadtdekan Christian Hermes würdigte Bolz als einen Politiker, der seine Widerstandskraft maßgeblich aus dem christlichen Glauben bezogen habe. Der „herausragende politische Christ“, für den die katholische Kirche 2015 ein Seligsprechungsverfahren eingeleitet hat, habe um den Preis seines Lebens gegenüber dem NS-Staat die Überzeugung vertreten, dass die Verantwortung vor Gott und den Menschen Grundlage jeder staatlichen Gewalt sein müsse und eine Staatsgewalt, die sich absolut setze, keine Legitimation haben könne. Darin wurzelt das später im Grundgesetz verankerte Widerstandsrecht.

Auch Hermes spielte auf gegenwärtige Entwicklungen an. Viele fragten sich, wie es damals so weit kommen konnte. „Inzwischen sind wir sensibilisiert dafür, wie Hassparolen und Hetze, befeuert durch neue asoziale Medien, den Ton in einer Gesellschaft verändern können“, sagte der Stadtdekan. Scharfmacher vor allem auf der extrem rechten Seite bekämpften die Demokratie, warnte Hermes: „Es ist deshalb von größter Bedeutung, dass wir uns zur Demokratie bekennen und sie in Herz und Hirn und Handeln verankern. Wir wollen Eugen Bolz zum Vorbild nehmen und weiter an ihn erinnern. Er soll uns Mut machen, Farbe zu bekennen für Demokratie und Menschenrechte, Humanität und christliche Verantwortung.“

„Einer der bedeutendsten Regimegegner“

Eugen Bolz wurde am 15. Dezember 1881 in Rottenburg am Neckar geboren. Am Karlsgymnasium in Stuttgart machte er im Jahr 1900 Abitur. Anschließend studierte er Rechtswissenschaften in Tübingen, Bonn und Berlin. Verheiratet war Eugen Bolz mit Maria Hoeneß. Seine Tochter Mechthild lebte bis zu ihrem Tod 2011 in der 2017 abgerissenen Bolz’schen Villa am Kriegsbergturm in Stuttgart.

Als Zentrums-Mitglied gehörte Bolz 20 Jahre lang dem Reichstag und dem Landtag an. 1919 wurde er in Württemberg Justizminister, 1923 Innenminister und 1928 zusätzlich Staatspräsident. Im März 1933 drängten ihn die Nationalsozialisten aus dem Amt. Am 23. März 1933 stimmte Bolz entsprechend des Fraktionszwangs im Reichstag dem Ermächtigungsgesetz zu, was ihn in einen Gewissenskonflikt stürzte. 1941/1942 kam Bolz in Verbindung mit dem Widerstandskreis um Carl Friedrich Goerdeler. Nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 wurde er am 12. August 1944 in seinem Wohnhaus am Kriegsbergturm verhaftet und nach einem Schauprozess vor dem Volksgerichtshof am 23. Januar 1945 er in Berlin-Plötzensee enthauptet. Der wissenschaftliche Leiter der Gedenkstätte deutscher Widerstand in Berlin, Peter Steinbach, bezeichnet ihn „einen der bedeutendsten Regimegegner, die das Land hervorgebracht hat“.

Mühsames Gedenken

Das Gedenken an Bolz entwickelte sich – nicht untypisch für Frauen und Männer des Widerstands – nach dem Krieg nur zögerlich. 1970 wurde die Studienstiftung Eugen Bolz e. V. mit Sitz in Bonn gegründet. Seit 2007 gibt es in Rottenburg eine Eugen-Bolz-Stiftung, hervorgegangen aus dem Eugen-Bolz-Verein. In Stuttgart sorgten 2015/16 die Bemühungen einer Gruppe junger Leute rund um das frühere Wohnhaus von Eugen Bolzauf dem Killesberg für Schlagzeilen. Monatelang war diskutiert worden, ob Land und Stadt, die von den Erben an ein Wohnungsunternehmen verkaufte Villa erwerben und in einen Gedenkort umgestalten sollten. Auch der Bischof der Diözese Rottenburg, Gebhard Fürst, und der frühere Ministerpräsident Erwin Teufel hatte sich dafür stark gemacht. Am Ende fiel die Entscheidung negativ aus. 2017 wurde die Villa zugunsten eines Neubaus mit Eigentumswohnungen abgerissen, ein Gartenpavillon blieb erhalten.

Als Ausfluss der Diskussion wurde ein Erweiterungsbau des Staatsministeriums nach dem Widerstandskämpfer benannt und das Gedenken an Bolz insgesamt belebt. Von den Bemühungen der jungen Leute, die die Villa übergangsweise bewohnten, zeugt heute noch ein Wikipedia-Eintrag: „An der Fassade des ehemaligen Wohnhauses von Eugen Bolz, Am Kriegsbergturm 44, Stuttgart befand sich ein sechs Meter hohes Porträt zum Gedenken an ihn.“ Das Porträt hatten die jungen Leute aufgesprüht.

Dauerhaftes Gedenken im Hotel Silber

Weitere Erinnerungsorte: An Bolz erinnert unter anderem eine Bronzetafel an seinem Geburtshaus in der Königstraße 53 in Rottenburg am Neckar, deren Ehrenbürger er zudem ist. Dort gibt es auch ein Eugen-Bolz-Gymnasium. In Stuttgart ist die Bolzstraße nach ihm benannt. Im Landtag trägt ein Sitzungssaal dem Namen Eugen Bolz. Dort steht auch ein Exemplar der Bolz-Büste des Bildhauers Fritz von Graevenitz. Ein zweites Exemplar steht im Staatsministerium. Im Innenministerium befindet sich eine Bolz-Büste der Künstlerin Olga Waldschmidt. Im Lern- und Gedenkort Hotel Silber, der früheren Gestapo-Zentrale, wird Bolz dauerhaft gedacht. Dorthin war Bolz im Juni 1933 gebracht und in „Schutzhaft“ genommen worden.