Der Stuttgarter Regierungspräsident Johannes Schmalzl hat auf einer zweitägigen Reise durch den Südwesten verschiedene Gedenkstätten der Nazi-Diktatur aufgesucht und sich über das Engagement der ehrenamtlichen Betreiber aufklären lassen.

Schwäbisch Hall - Eine Vergnügungsreise war es nicht, der sich Regierungspräsident Johannes Schmalzl und Sibylle Thelen von der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) an zwei Septembertagen unterzogen. Sie besuchten acht der über 70 Gedenkstätten des Landes, die an die Taten und die Folgen der NS-Diktatur erinnern. Zu den Stationen zählten zwei Orte in Ulm und Crailsheim, die an die Geschwister Scholl und die Weiße Rose erinnern, vor allem aber solche, die das Grauen dieser Zeit ebenso exemplarisch vor Augen führen wie das vielfältige und selten gewürdigte Engagement derer, denen diese Gedenkstätten ihre Existenz und ihren Fortbestand verdanken. Zu den Stationen waren auch Politiker und Amtsträger gebeten, in Schwäbisch Hall gab der Oberbürgermeister Hermann-Josef Pelgrim einen Empfang samt Austausch zur Gedenkstättenarbeit. Stolz sind Schmalzl und die Landeszentrale darauf, dass trotz Sparzwang die Mittel für die Projektarbeit dieser Stätten um die Hälfte auf jetzt auf 300 000 Euro erhöht werden konnten.

 

Für den eigentlichen Betrieb sind die Träger der Gedenkstätten verantwortlich, seien es Vereine, Initiativen, Kommunen oder Sponsoren. Was von diesen Trägern im Einzelnen und vor allem „gegen Gottes Lohn“ geleistet wird, hat auch die Offiziellen gelegentlich überrascht. So wenn etwa Mitglieder der Initiative Gedenkstätte Schwäbisch Hall auf eigene Kosten nach England reisen, um dort in Archiven den Menschen nachzuspüren und ihnen ihren Namen zu geben, die in einem Konzentrationslager mitten in der Stadt ihrer Vernichtung durch Arbeit oder brutale Willkür entgegensahen.

Ununterbrochen im Einsatz

Folker Förtsch, Stadtarchivar von Crailsheim, und weitere Mitglieder des Vereins, die die gerade sanierte Gedenkstätte am Bahnhof Hessental vorzeigen können, haben besonders umfangreiches Dokumentationsmaterial erstellt. Ein kleiner Kreis aus der Initiative ist ununterbrochen im Einsatz, vor Ort und in der Vermittlung. Noch in den 80er Jahren hätte die Haller Öffentlichkeit diesen Ort, den sie als Schandfleck betrachtete, am liebsten dem Erdboden gleichgemacht – eine Einstellung, die auch an den anderen Orten herrschte. Nach dem Krieg befand sich hier ein Schrottplatz.

Ununterbrochen im Einsatz ist auch Elisabeth Quirbach im Rabbinatsmuseum von Braunsbach, ein kleiner idyllischer Ort in Hohenlohe. Die zwei Räume quellen fast über vor teilweise historisch wertvollen Exponaten. Menschlich anrührende sind darunter, die vom Verzeihen der letzten Betroffenen und Zeitzeugen berichten, aber auch vom Versagen ganzer Generationen. Wie wichtig es ist, dass auch eine kleine Gemeinde hinter solchen Einrichtungen steht, zeigt sich hier. Sie hat das Haus des ehemaligen Bezirksrabbiners gekauft und hergerichtet. Im Obergeschoss befindet sich eine Kindertagesstätte, darunter wird die Geschichte der Landjuden in Braunsbach von 1600 bis zur Deportation 1942 gezeigt. Bürgermeister Frank Harsch erhält bei dieser Gelegenheit auch noch zwei Bewilligungsbescheide über Fördermittel.

Praktische Ratschläge

Schmalzl versteht seine Reise nicht nur als Erkundigungs-, sondern auch als Ermutigungsreise. Die praktischen Ratschläge von ihm und auch Sybille Thelen zur Optimierung der Arbeit, aber auch zum Erhalt von Mitteln und Unterstützung haben durchaus Hand und Fuß. Doch es gibt auch Situationen, in denen die Worte fehlen. Eine solche tritt ein an einem der kleinsten und berührendsten Orte dieser Reise. Franz Rechtenbacher, Bürgermeister von Bühlerzell, hat die Gruppe zum Friedhof der so zynisch als „Ausländerkinderpflegestätte“ bezeichneten Einrichtung in den Gantenwald geführt.

Die letzten 200 Meter führen steil durch den Wald, dann hat man die heute durch den Ort betreute Grabanlage erreicht. Von hier reicht der Blick über ein Feld auf ein Anwesen, in dem früher Zwangsarbeiterinnen aus dem Osten gezwungen waren, ihre Kinder zur Welt zu bringen. Wenige Tage später mussten sie zurück zur Arbeit. Die Kinder blieben unter erbärmlichsten Umständen zurück. Bis Kriegsende waren hier mindestens 79 „fremdvölkische“ Kinder untergebracht. Von ihnen starben mindestens 24. Nicht alle Namen sind bekannt.

Vernichtung unter Tage

Bei allen Stationen ist es immer wieder ein Thema, wie man vor allem junge Schüler an diese Epoche deutscher Geschichte heranführt, welche Möglichkeiten, Mittel und Erfahrungen es dazu gibt. Dazu wurden oft eigene Konzepte entwickelt, manche erfolgreich, manche weniger, oft auch davon abhängig, was da das Ehrenamt ohne öffentliche Unterstützung leisten kann. Kontinuität fällt oft schwer. Es ist wohl so, wie es Schmalzl immer wieder sagt: „Wenn sich die Kommunen ihrer Geschichte nicht stellen, dann stimmt auch alles andere in der Gemeinde nicht.“

Eine Aussage, die auch Bezug zur vorletzten Station – die Reise endete in der Gedenkstätte in Vaihingen/Enz – herstellt, zur KZ-Gedenkstätte im Salzbergwerk von  Bad Friedrichshall-Kochendorf. Salzwerkseigner sind das Land und die Stadt Heilbronn, die man von hier aus unterirdisch erreichen kann. Die Existenz der Gedenkstätte stand auf der Kippe, als das Besucherbergwerk geschlossen wurde. Damit entfiel auch der Zugang zu ihr. Dem unablässigen Bestreben der Miklos-Klein-Stiftung, benannt nach einem hier ermordeten ungarischen Fremdarbeiter, und auch dem öffentlichen Druck ist es nicht zuletzt zu verdanken, dass die Südwestsalz mit ihrem „Ja“ zum Besucherbergwerk auch das zum Weiterbestand der Gedenkstätte gab.

Unterirdischer Dom

Hier in einem unterirdischen hallenartigen Dom der Erinnerung ist professionell und ästhetisch das dort herrschende Grauen in Dokumentationen transferiert, aber nicht ausgeblendet worden. Detlef Ernst, die treibende Kraft in der Stiftung, ist, wie es auch der Regierungspräsident und die vielen Ehrenamtlichen von sich erzählen, durch persönliches Erleben geprägt. Seine Erregung ist auch nach Jahren ungedämpft, wenn er davon spricht, was man den etwa 1000 KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern hier angetan hat. Sie lässt auch nicht nach, wenn es um die Verdrängung nach dem Krieg geht. Etwa 400 Menschen kamen hier zu Tode, etwa weitere 250 dann beim finalen Todesmarsch.

Auch hier geht es darum, den Opfern ihre Namen und ihre Geschichte zurückzugeben. Das längst nicht mehr junge Ehepaar Riexinger, das sich so bescheiden im Hintergrund hält, gehörte nicht zu Verdrängern, sie sind da, weil sie bei den Ersten waren, die sich hier positionierten und engagierten.

Deutliche Kritik

Ernst kritisiert in diesem Zusammenhang mit deutlichen Worten die Stadt Heilbronn – und nicht nur deren Verwaltung –, weil man sich dort immer noch nicht der Geschichte gestellt habe. Hier unten ist man damit konfrontiert, wie Vernichtung durch Arbeit funktionierte, mit welch ausgeklügelter und menschenverachtender Methodik für die Rüstung und den Endsieg geschuftet werden musste, im Namen von „guten Heilbronner Namen“ aus der Industriegeschichte der Stadt. Eindruck macht eine sehr hohe Besucherzahl. Dafür, dass noch viel mehr Menschen hierherkommen, engagiert sich auch Bad Friedrichshalls Bürgermeister Peter Dolderer. Er möchte vermitteln, dass man im Salzbergwerk nicht nur 200 Millionen Jahren Erdgeschichte, sondern auch den letzten Jahrzehnten deutscher Geschichte begegnen kann. Im Jahr besuchen etwa 250 000 Menschen die Gedenkstätten des Landes.