Vor fünf Monaten brannte es in einer Unterkunft der Stadt, vier Menschen starben. Nun sind die Ermittlungen abgeschlossen. Die Rekonstruktion eines Verbrechens.

Markgröningen - Es ist 2 Uhr in der Nacht, als ein Mann beschließt, seinem Ärger Luft zu machen. Er geht die Treppe hinunter in den Aufenthaltsraum der Sozialunterkunft, in der er seit wenigen Wochen wohnt. Er nimmt ein Feuerzeug und zündet eine Decke an, die auf einer Couch liegt. Dann legt er sich wieder schlafen. Minuten später füllt beißender Rauch die drei Stockwerke, bis zu 1000 Grad heiß sind die lodernden Flammen. Vier Menschen sterben. Der Mann überlebt.

 

So hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft die Ereignisse rekonstruiert, die sich in der Nacht zum 7. August des vergangenen Jahres im Gerbergäßle mitten in Markgröningen zugetragen haben sollen. Für die Ermittlungsbehörde ist ein 68-Jähriger, der den Brand gelegt haben soll, deshalb ein vierfacher Mörder. Hinzu kommen in der Anklageschrift die Vorwürfe des versuchten Mordes in fünf Fällen und der schweren Brandstiftung.

Mutmaßlicher Brandstifter wird wegen Mordes angeklagt

Inzwischen sind die Ermittlungen der Kriminalpolizei abgeschlossen, bereits kurz nach dem Brand hatte der 68-Jährige gestanden, das Feuer gelegt zu haben. Am 4. April wird das Verfahren gegen ihn vor dem Stuttgarter Landgericht beginnen.

Seine Kollegen gingen nicht davon aus, dass der Rentner seine vier Mitbewohner gezielt umbringen wollte, sagt Jan Holzner, der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Doch der 68-Jährige habe gewusst, dass die anderen Bewohner in der Unterkunft schliefen, als er das Feuer legte. Also habe er davon ausgehen müssen, dass sie zu Tode kommen könnten.

Zudem hätte der Beschuldigte damit rechnen müssen, dass das Feuer in der dicht bebauten Markgröninger Altstadt auch auf andere Häuser hätte übergehen können – auch wenn das dank des raschen Eingreifens von rund 150 Feuerwehrleuten und dem mutigen Einsatz von Nachbarn, die Bewohner mit Leitern aus dem brennenden Haus retteten, nicht passierte. Laut Gesetz ist auch der Einsatz von „gemeingefährlichen Mitteln“ ein Mordmerkmal.

Zwischen 45 und 60 Jahre alt waren die drei Männer und die Frau, die bei der Katastrophe ums Leben kamen. Zwei der Opfer starben kurz nach dem Ausbruch des Feuers, zwei in den Tagen nach dem Brand im Krankenhaus. Sie hatten von den Notärzten an der Unglücksstelle zunächst wiederbelebt werden müssen. Als Todesursache sieht die Staatsanwaltschaft bei allen vier Opfern eine Rauchgasvergiftung.

Der 68-Jährige saß bereits wegen Brandstiftung im Gefängnis

Dass die Bewohner der Unterkunft sterben mussten, liegt laut den Ermittlern an der Unzufriedenheit des 68-Jährigen mit seiner Lebenssituation. Nach Informationen unserer Zeitung hatte sich die Partnerin des Mannes im Frühsommer 2017 von ihm getrennt und ihn aus der gemeinsamen Wohnung geworfen, weshalb er in die Obhut der Stadt kam. Die Brandstiftung ist laut Anklage für den 68-Jährigen eine Art Ventil gewesen, um psychischen Druck abzubauen – und das nicht zum ersten Mal.

Nach gesicherten Informationen unserer Zeitung hatte ihn das Stuttgarter Landgericht bereits 1984 wegen schwerer Brandstiftung in zwei Fällen zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt, die er in Teilen absaß, bevor er auf Bewährung freikam. Das Amtsgericht Ludwigshafen verurteilte den 68-Jährigen im Jahr 2015 wegen anderer Delikte – weshalb er vorigen August, zur Tatzeit, unter Bewährung stand. Der Stadt Markgröningen waren diese Vorstrafen nach Auskunft von Bürgermeister Rudolf Kürner nicht bekannt, als sie den Mann Anfang Juli im Gerbergäßle unterbrachte. Ein fremdenfeindliches Motiv schließt die Staatsanwaltschaft aus, auch wenn in dem Haus im Gerbergäßle im Sommer 2017 zwei Flüchtlinge lebten.

Bislang sehen die Ermittler keine Hinweise, dass der Angeschuldigte schuldunfähig sein könnte. Folgt das Stuttgarter Landgericht dieser Ansicht, droht dem Mann eine lebenslange Haftstrafe.