Wissenschaftler wollen den Welthunger mit Kunstfleisch aus dem Labor bekämpfen. Doch werden Verbraucher das sogenannte In-Vitro-Fleisch auch akzeptieren? Ernährungsexperten sind skeptisch.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart - Der Rinderzüchter der Zukunft könnte mit dem Bauern, der seine Kühe im Stall füttert, nur noch wenig zu tun haben. Er dürfte eher aussehen wie ein Labormitarbeiter, der im weißen Kittel und mit Mundschutz synthetisches Kunstfleisch in einer Petrischale heranzüchtet. Wissenschafter arbeiten seit Jahren an der Entwicklung von Retortenfleisch, für das keine lebenden Tiere mehr nötig sind.

 

Kann Fleisch aus der Petrischale – sogenanntes In-Vitro-Fleisch – die Ernährung der Menschheit in der Zukunft sichern? Und kann aus Stammzellen gezüchtetes Gewebe dazu beitragen, die industrielle Massentierhaltung zu ersetzen?

Testessen mit In-Vitro-Burgern

Kunstfleisch, das nicht von Tieren stammt, die dafür massenhaft leiden und sterben müssen – das ist die Vision der Wissenschaftler, die sich mit In-Vitro-Fleisch beschäftigen. Das Material entsteht, indem tierische Muskel- und Fettzellen im Labor wachsen. Daran wird vor allem in den USA, den Niederlanden und in Israel geforscht. Im Februar 2018 informierte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages die Parlamentarier über den Stand der Forschungen.

Der niederländische Pharmakologe Mark Post von Universität Maastricht hat als erster Forscher weltweit einen Machbarkeitsnachweis für Kulturfleisch vorgelegt. Am 5. August 2013 lud der Physiologie-Professor in London auf einer Pressekonferenz zu einem Testessen mit aus Stammzellen erzeugten Burgern ein.

Noch nicht im Handel

Zu kaufen gibt es Laborfleisch noch nicht. Unternehmen wie die israelische Start-up-Firma „Supermeat“ arbeiten daran, aus Zellen Fleisch nachzubauen. „Supermeat“-Geschäftsführer Ido Savir rechnet damit, in drei Jahren die erste Generation von künstlich erzeugtem Fleisch an Restaurants liefern zu können. „Der nächste Schritt wäre, in weiteren zwei bis fünf Jahren die Produktion auf einen industriellen Maßstab zu vergrößern, um Supermärkte und den Lebensmittelhandel zu versorgen.“

Deutschlands größter Geflügelproduzent PHW – besser bekannt unter dem Markennamen Wiesenhof – ist an „Supermeat“ beteiligt. Er gehe davon aus, dass es in einigen Jahren eine Nachfrage nach künstlich erzeugtem Fleisch geben werde, ähnlich wie nach veganen Fleischersatzprodukten, erklärt PHW-Vorstandsvorsitzender Peter Wesjohann.

Massenproduktion bisher nicht möglich

Die Retortentechnik lässt bisher keine Fleischzucht in großen Mengen zu. Ob man also den Hunger in der Welt mit Kunstfleisch bekämpfen kann, ist daher äußerst fraglich. Nach einer Studie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) ist die Herstellung sehr aufwendig.

Die Karlsruher Forscher stellten aber auch fest, dass In-Vitro-Fleisch dabei helfen könnte, Probleme des Fleischkonsums mit Blick auf die wachsende Weltbevölkerung, den Klimawandel und den Tierschutz zu lösen.

Qualität statt Quantität

Ein leckeres Steak oder ein goldbraunes Schnitzel sind für Fleisch-Liebhaber verlockend, doch der Gedanke an Frankenstein-Schnitzel aus dem Labor lässt nicht jedem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Wiener Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler befasst sich seit langem mit der Zukunft der Ernährung, dem sogenannten Future Food. Sie gehörte zu den ersten öffentlichen Verkostern der In-Vitro-Burger, die 2013 in London zubereitet worden waren.

Für den deutschsprachigen Kulturkreis könne sie es sich absolut nicht vorstellen, dass synthetische Produkte Freude am Essen wecken. „Uns geht es nicht mehr um den Fleischhunger, der ist gesättigt, sondern um bessere Qualität.“ Essen werde immer mehr zum Ausdruck der Persönlichkeit, betont Rützler.

Der Konsument werde kritischer und aufgeklärter und verlange nach Natur, Frische und Qualität. Hochverarbeitete, insbesondere synthetische Produkte hätten somit große Akzeptanzprobleme. „Ein künstliches Produkt, das so tut, als wäre es Natur, dabei aber nicht besser ist, funktioniert nicht“, sagt Foodtrend-Expertin Rützler . „Da genießen wir eher rohen Fisch, bevor wir Fleischersatz essen.“