Am liebsten so oft wie möglich selbst kochen – mit frischen Zutaten, die aus der Region stammen: So fassen die Bundesbürger ihre Ernährungsgewohnheiten im „Ernährungsreport 2018“ zusammen. Die Realität sieht anders aus.

Berlin - Wenn es ums Essen geht, dann ist der Verbraucher hierzulande vorbildlich – zumindest auf dem Papier: Er kocht gern, er kocht häufig, und er kocht gesund. Und natürlich nur mit Zutaten, bei denen er davon überzeugt ist, dass sie gesund sind und aus der Region stammen. So steht es im Ernährungsreport 2018, der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft am Mittwoch vorgestellt worden ist – sozusagen als Abbild der Ernährungssituation Deutschlands.

 

Der Bericht, der seit 2015 jährlich erscheint, beruht auf einer Telefonumfrage des Forsa-Instituts unter rund 1000 Bundesbürgern. Sie wurden gefragt, was ihre Essensvorlieben sind, worauf sie beim Lebensmittelkauf achten und was sie in einer normalen Arbeitswoche wo und wie zu sich nehmen. Tatsächlich sind die Ergebnisse überraschend positiv, so dass selbst der Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) bei der Vorstellung in Berlin feststellte: „Deutschland ist ein Volk von Köchen.“ Gaben doch immerhin 43 Prozent der Bundesbürger an, so gut wie jeden Tag zu Hause zu kochen. Weitere 38 Prozent kochen zwei- bis dreimal in der Woche selbst.

Und gesunde Ernährung spielt dabei durchaus eine große Rolle: Am häufigsten – nämlich mit 73 Prozent – gaben die Befragten an, mehrmals täglich Obst und Gemüse zu essen. Der Anteil derer, die Milchprodukte verzehren, ist gestiegen. Bewusstes essen scheint das Motto – denn der Großteil der Befragten (85 Prozent) achtet beim Kauf der Lebensmittel auf die Angaben zu den Haltungsbedingungen der Tiere und darauf, ob das Produkt unter fairen Bedingungen hergestellt wurde (85 Prozent). Drei Viertel sagen sogar, dass es ihnen wichtig sei, dass ein Lebensmittel aus der Region komme.

Fertiggerichte sind dieses Mal kein Thema

Hat sich das Ernährungsverhalten der Bundesbürger also wirklich so zum Guten verändert? Ein Jahr zuvor legten die Deutschen laut dem Ernährungsreport 2017 ebenfalls Wert auf qualitativ hochwertige Lebensmittel, doch die Essenszubereitung sollte schnell und einfach sein, weswegen 41 Prozent der Befragten damals angaben, regelmäßig Fertiggerichte in den Ofen zu schieben. Im aktuellen Ernährungsreport ist von Fertiggerichten dagegen gar nicht mehr die Rede. Auch die Zahl der Fleischesser ist angeblich binnen eines Jahres deutlich gesunken. Gab im letzten Report mindestens jeder Zweite an, am liebsten Fleisch zu essen, stehen Wurst und Fleisch laut der jüngsten Befragung nur bei jedem Dritten täglich auf dem Tisch.

Doch an die wundersame Wandlung zum bewussten Besseresser mögen viele nicht so recht glauben: Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) etwa verweist auf die steigende Zahl der Menschen, die an Zuckerkrankheit und Adipositas leiden. „Diabetes mellitus nimmt in Deutschland unverändert zu: Neben der großen Zahl der mehr als sechs Millionen Betroffenen werden es etwa 300 000 Patienten jährlich mehr, sagt die DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer. Starkes Übergewicht ist einer der treibenden Risikofaktoren für Diabetes, „daher ist es eine fatale Entwicklung, dass wir in einer Umwelt leben, in der es fettige Snacks und zuckrige Getränke an jeder Ecke gibt“. Statt für ein Schulfach „Ernährung“ zu werben, wie es der Bundesernährungsminister Schmidt im Vorwort tue, wäre es sinnvoller, dass Kantinen in Schulen und Kindertagesstätten verpflichtet werden, die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung einzuhalten, so Bitzer. „Notwendig sind auch dauerhafte Maßnahmen, die möglichst die gesamte Bevölkerung zu erreichen.“ Es muss den Menschen leichter gemacht werden, gesunde Entscheidungen bei der Auswahl der Lebensmittel zu treffen. Das wäre die eigentliche Aufgabe des Ministeriums.

Diskrepanzen bleiben unerwähnt

Doch diese Diskrepanzen erwähnte der Minister nicht. Schmidt bedauerte bei der Vorstellung des Ernährungsreports lediglich, dass die Zeit vor der Bundestagswahl nicht mehr gereicht habe, ein Tierwohllabel für Lebensmittel einzuführen. Die Vorbereitungen dafür liefen weiter. Von Verbraucherorganisation wie Foodwatch kommt Kritik: Statt produktive Politik zu machen, gebe Schmidt belanglose Broschüren heraus, so die Organisation. Es sei längst bekannt, dass sich die Menschen eine bessere Kennzeichnung der Lebensmittel oder eine artgerechtere Tierhaltung wünschen – doch hier werde Schmidt nicht aktiv oder bringe nur Scheininitiativen auf den Weg.

Die Stiftung Warentest will es anders machen. Auch sie hat sich in den vergangenen Monaten mit der Ernährungssituation der Bundesbürger beschäftigt und ebenfalls am Mittwoch ihre Ergebnisse vorgelegt – in Form eines Buchs namens „Besser essen nebenbei“ mit Rezepten und Ratschlägen, wie man gut und günstig einkaufen kann. „Jeder kann sich gut und gesund ernähren“, sagt Projektleiter Niclas Dewitz. „Es ist wirklich keine große Sache. Man muss halt nur ein paar Tipps und Tricks kennen.“ Und ein bisschen Zeit investieren.

Was gesunde Ernährung ist

Energiedichte Gesunde Ernährungsmuster zeichnen sich laut Stiftung Warentest durch eine relativ geringe Energiedichte aus. Das bedeutet, sie liefern im Verhältnis zum Gesamtgewicht wenig Energie – dafür viele Vitamine, Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe und Ballaststoffe.

Gelassenheit Zur gesunden Ernährung tragen auch soziale und psychologische Faktoren bei: Wer genießen kann und sich psychisch satt fühlt, wird auch nicht zu viel essen. Außerdem schüttet er nicht laufend übermäßig viele Stresshormone aus, die krank machen können.

Auswahl Wichtig ist eine abwechslungsreiche Ernährung: Reichlich Pflanzenkost fördert die Gesundheit, tierische Produkte sollten in Maßen gegessen werden. Als Durstlöscher eignet sich vor allem Wasser.

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