Mit einer Podiumsdiskussion über die Probleme des Popmusikstandorts ist das Festival Sound of Stuttgart im Stadtpalais eröffnet worden. Auch die Begleitausstellung „Oh Yeah – Popmusik in Deutschland“ ist nun zu sehen.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Wer in der Stuttgarter Region qualitativ hochwertige Livekonzerte sucht, wird ordentlich fündig. Künstler wie Sophie Hunger, Brendan Perry, Bilderbuch oder – erst am Montag – Kurt Vile waren in den vergangenen Wochen erst da, Musiker wie King Crimson, Julia Holter, Chilly Gonzales, die Eels, Amanda Palmer , Mark Lanegan und The National kommen in den nächsten Monaten noch. Und wer sich lieber Weltstars anhört: allein in den kommenden Wochen treten hier Mark Knopfler, Pink, Sting, Bob Dylan, Christina Aguilera, Katie Melua und Tom Jones auf.

 

Allein: das stillt nicht jene scheint’s unausrottbare Emotion namens Lokalpatriotismus sowie den berechtigten Wunsch der Stuttgarter nach adäquaten Probe- und Auftrittsmöglichkeiten für hiesige Bands und ein diesbezügliches Engagement der Stadtverwaltung für ihre auch hierfür Steuern zahlenden Bürgerschaft.

Grund genug also für eine Diskussionsrunde zum Auftakt des Festivals Sound of Stuttgart im Stadtpalais am Dienstagabend, bei der freilich der Kulturbürgermeister Fabian Mayer (CDU) durch Abwesenheit glänzte und der kulturpolitisches Sprecher und Fraktionsvorsitzende der Grünen Andreas Winter (hauptberuflich übrigens Leiter des Musikzentrums Feuerbach) umgehend nach den Grußworten bereits den Saal verließ.

Insider erzählen von den Nöten

Auf dem von Ingmar Volkmann, einem der Titelautoren der „Stuttgarter Zeitung“ moderierten Podium indes fand Mathias Mettmann, der Geschäftsführer von Chimperator Live und dem Wizemann, deutliche Worte über den Popstandort Stuttgart. Spätestens seit dem Aus für den Keller Klub existiere nunmehr in Stuttgart außer dem Goldmark’s kein einziger Club für kleine Konzerte mehr – und da „stehen wir schon ganz schön schlecht da“. Annette Loers, die Geschäftsführerin des Kulturzentrums Merlin, berichtete von ihren Nöten, überhaupt passende Säle für Künstler zu buchen, die zu groß für den Club im Stuttgarter Westen sind. Sie weiche bisweilen notgedrungen in das Heslacher Feuerwehrhaus aus, „das wie Harry Potter’s Hogwarts-Schule aussieht“ und bei dem man als Veranstalter angesichts der unzureichenden Ausstattung „auch oft zaubern muss“.

Die Punksängerin, Filmmusikerin und Radiomoderatorin Yvy Häußler rief noch die längst geschlossene Röhre und das als Auftrittsort leider nicht mehr zur Verfügung stehende Jugendhaus Degerloch in Erinnerung und diagnostizierte in Sachen Auftrittsmöglichkeiten für Nachwuchsbands, dass „zwischen den Akteuren und der Verwaltung ein Riesenvakuum“ herrsche. Michael Setzer, Gitarrist bei End of Green und Redakteur unserer Zeitung, stellte lapidar fest, dass es „völlig utopisch wäre, für unsere Band einen angemessenen Proberaum in Stuttgart zu finden“. Und Heiko Maile schließlich, der mit der Band Camouflage („The great Commandment“, „Love is a Shield“) einst den Ruhm der Popregion Stuttgart mehrte und mittlerweile als Filmkomponist arbeitet, berichtete, dass er auch heutzutage noch immer darauf angesprochen werde, ob es denn in Stuttgart überhaupt genug Leute gebe, die Ahnung von Filmmusik haben.

Bekannte Probleme

Kaum noch Spielstätten, viel zu wenig Proberäume, ein verschnarchtes Image der Stadt: die drei in dieser Diskussionsrunde noch einmal benannten Kernprobleme sind bekannt, sie haben sich – siehe Röhre und Keller Klub – im Kleinen und – spätestens seit mit dem Messecongresscentrum auch die einzige Spielstätte mit einer Kapazität für 3000 Besucher weggefallen ist – auch im Großen verschlechtert.

Wenn Nachwuchsbands kaum Möglichkeiten zu proben sowie Spielpraxis zu sammeln bekommen – beides „Brühwürfel für die Ursuppe“, wie Yvy Häußler so schön formulierte –, wird sich vor allem auch qualitativ nur wenig am Zustand der Stuttgarter Popmusiklandschaft ändern. Wenn weder größere noch große Bands von außerhalb in Stuttgart mangels adäquater Bühnen auftreten können, können sie den Ruf der Stadt nicht in die Ferne tragen und dort zu verbessern helfen, mal davon abgesehen, dass das Konzertangebot hierzulande dadurch natürlich ausgedünnt wird. Alles Dinge, die sich die Politik (falls sie mal Zeit zum Zuhören findet) gerne zu Herzen nehmen darf, wenn über die Diskrepanzen bei der Vergabe von Fördergeldern für U- und E-Musik nachgedacht wird oder durchaus partikularinteressengesteuert über die Notwendigkeit einer Schlossgartenphilharmonie gesprochen wird. Gut jedenfalls, dass all dies auch mal wieder öffentlich – und zwar bei beachtlich großem Interesse in einem prall gefüllten Saal – in Erinnerung gerufen wurde.

Geschrumpfte Ausstellung

Daneben wurde am Dienstagabend auch die Ausstellung „Oh Yeah – Popmusik in Deutschland“ eröffnet. Bis zum 8. September wird sie im kleinen Saal im Erdgeschoss des Stadtpalais zu sehen sein. Es ist ein wenig desillusionierend, diese Wanderausstellung auf ihrer allerletzten Etappe durch Deutschland hier in Stuttgart zurechtgestutzt auf knapp hundert Quadratmetern anschauen zu müssen – bei ihrer Station in Bremen etwa wurde eine etwa zehnmal so große Fläche bespielt. Auch in diesem XXS-Format bleibt der ursprüngliche Konstruktionsfehler der Schau, die Popmusik in BRD und DDR gleichrangig zu behandeln, zwar noch bestehen. Dennoch sind die Tafeln und vor allem die Exponate, die von den Comedian Harmonists über die NS-Zeit, von Swing über Beat bis zur Jetztzeit hundert Jahre deutsche Popmusikgeschichte Revue passieren lassen, hübsch anzusehen.