Der derzeit größte Neubau eines Kunstmuseums in Deutschland ist eröffnet worden: 68,3 Millionen Euro hat er gekostet. Die Architektur der neuen Kunsthalle Mannheim hat definitiv ihre Schwächen. Das Konzept der selbstbewussten Direktorin Ulrike Lorenz ist dagegen mutig – und ein Affront für manche Kollegen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Mannheim - Man könnte es auch so sagen: Das, was Museen manchmal mühsam und anstrengend macht, überlässt Ulrike Lorenz gerne ihren Kollegen. Für das Nacherzählen der Kunstgeschichte, meint die selbstbewusste Museumschefin, seien die Nationalgalerien zuständig – nicht sie. Ulrike Lorenz ist die Direktorin der Kunsthalle Mannheim und leitet damit zwar „nur“ ein städtisches Haus, aber sie ist ehrgeizig genug, um dem klassischen Museumsbetrieb Paroli zu bieten.

 

An diesem Wochenende wird mit einem halben Jahr Verspätung der Neubau der Kunsthalle Mannheim für das Publikum geöffnet – und eine kleine Revolution eingeläutet. So harmlos und schlicht der Neubau des Hamburger Büros von Gerkan, Marg und Partner daherkommt, so radikal ist das Museumskonzept, das Lorenz hier umsetzt: kein „Elfenbeinturm“, kein „Gänsemarsch der Stile“, wie sie es nennt, und vor allem: kein Expertentum mehr, was für Kunsthistoriker wie ein Affront klingen mag. In der Kunsthalle geht es nicht mehr allein um akademisches Wissen, sondern auch um persönliche, sinnliche und emotionale Zugänge zur Kunst.

Der distanzierte Kunstrezipient wird zum Voyeur

Bereits im Foyer wird man überwältigt. Ein stattlicher Museumsbau, der doch nicht monumental wirkt, weil vom Atrium Galerien, Brücken und Terrassen abgehen und sich spannende Sichtachsen ergeben. Statt einen Parcours abarbeiten zu müssen, kann man die Tour nach eigenem Gusto zusammenstellen, weil die insgesamt 13 Kuben autonom bespielt werden. Hier geht es um Krieg, dort um die Figur – mit George Segals „Man in a Deck Chair Drinking“ (1967), einem Kerl aus Gips im Campingstuhl, oder einer Figur von Kristof Kintera, einem Jungen, der seinen Kopf wieder und wieder an die Wand schlägt.

In der neuen Ausstellung wird Kunst präsentiert – statt zelebriert, denn Ulrike Lorenz und ihr Team begreifen das Publikum nicht als Bewunderer, sondern als kritisches, mündiges Gegenüber. Am besten ist dieses Konzept beim Hauptwerk der Kunsthalle Mannheim umgesetzt: Édouard Manets „Die Erschießung des Kaisers Maximilian“ (1868/69), das sich den Raum mit der Installation „Arena“ (1997) von Rita McBride teilt. Wer auf der meterhohen, hölzernen Tribüne Platz nimmt, wird plötzlich vom distanzierten Kunstrezipienten zum Zuschauer der Exekutionsszene, zum Voyeur, der seine Rolle als Betrachter im Museum neu durchdenken muss.

Anselm Kiefers schroffe Berge treffen auf Caspar David Friedrichs Himmel

Einen Kubus bespielt William Kentridge – zur Eröffnung des Neubaus wurde seine Documenta-Arbeit von 2012 angekauft: „The Refusal of Time“, eine imposante Videoinstallation über das Vergehen der Zeit. Vielsagend ist auch die Gegenüberstellung der riesigen, schroffen Bergpanoramen Anselm Kiefers. Raue Natur, der der irdische Existenzkampf eingeschrieben ist – während vis-à-vis Caspar David Friedrichs Bildchen „Abend“ von 1824 fast nur Himmel zeigt und göttlichen Trost verheißt.

So bietet die Neupräsentation vielfältige Themen und Anreize und ist auch digital auf der Höhe der Zeit. Und doch geht die Rechnung nicht ganz auf. Das liegt weniger daran, dass man oft nach den Beschilderungen sucht, Werktitel nicht übersetzt wurden und man auf Angaben zum Material ganz verzichtet hat. Das größte Manko sind die Ausstellungsräume. Sie geben sich extrem sachlich und funktional und lassen keine Atmosphäre aufkommen.

Die Malerie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts tut sich schwer

Die zeitgenössische Kunst mag hier gut aufgehoben sein. Spektakulär regnen etwa Metallbetten in der Installation „o.T./Inferno“ von Rebecca Horn von der Decke. Bedrohlich lässt Alicja Kwade eine Bahnhofsuhr an einer langen Kette kreiseln. Die Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts tut sich dagegen schwer. Verloren hängen die schönen Monets, Sisleys, Pissarros in ihren Goldrahmen. Diese sinnliche Malerei schafft es kaum, der Kälte und Nacktheit des Raumes zu trotzen. Es sind speziell die Böden aus poliertem Sichtbeton, die in den offenen Räumen einen Eindruck von Unbehaustheit und öffentlichem Raum erzeugen, so dass sich intime Dialoge mit den Gemälden nur bedingt ergeben. Schade, denn das ist doch genau, worauf es Ulrike Lorenz ankommt: die sinnliche Auseinandersetzung mit Kunst.

Ambitioniertes und Albernes

Zum Abschluss eine lehrreiche Ernüchterung. In einer der Kuben wurde eine Art Wunderkammer eingerichtet, in der eine bunte Auswahl an Werken versammelt ist, die an sich im Depot schmoren. Bis unter die Decke hängen die Gemälde, in einem riesigen Regal stapeln sich kuriose und kunstfertige Arbeiten, Ambitioniertes wie Albernes. Auch das ist durchaus provokant, weil das Museum hier verrät, dass seine Strategien keineswegs so objektiv und wissenschaftlich sind, wie gern behauptet wird. Wenn etwa Giorgio de Chiricos „Piazza d’Ialia Metafisica“ 1950, eine Ikone der Metaphysischen Malerei, ins Depot verdammt wurde, so nicht, weil die Qualität nicht stimmte, sondern einfach nur, weil das Museumsteam es so entschieden hat.

Die wichtigsten Faketen

Gebäude Für den Neubau der Kunsthalle Mannheim am Wasserturm wurde der 1983 eröffnete Mitzlaff-Bau abgerissen, der bauliche und technische Mängel hatte. Eine wichtige Aufgabe war, den Neubau mit dem Jugendstilbau von Hermann Billing zu verbinden. Bei dem Wettbewerb setzten sich unter den 29 Bewerbern schließlich gmp-Architekten aus Hamburg durch. Zaha Hadid, David Chipperfield, Max Dudler oder auch SANAA schieden bereits in der Vorrunde aus.

Kosten Das Gesamtbudget von 68,3 Millionen Euro wurde eingehalten. Mannheim konnte sich den Neubau nur leisten, weil der SAP-Gründer Hans-Werner Hector und Josephine Hector 50 Millionen Euro gestiftet haben.

Chefin Die Kunsthistorikerin Ulrike Lorenz, 1963 in Gera geboren, leitet die Kunsthalle Mannheim seit 2008. Davor war sie Direktorin der Kunstsammlung Gera und des Kunstforums Ostdeutsche Galerie in Regensburg.

Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr, an jedem ersten Mittwoch im Monat 10 bis 22 Uhr.