Das umgebaute Stadtpalais haben sich 50 000 Besucher angeschaut. Doch da ging es vor allem um die Architektur des Hauses. Nun steht die Eröffnung der Ausstellung an. Museumsleiter Torben Giese erklärt im Interview, warum das Thema Auto da noch keine Rolle spielt.

Stuttgart - „Endlich offen!“ Torben Giese, der Chef im neuen Stadtpalais- Museum für Stuttgart ist voller Spannung. Denn an diesem Freitagabend ist die feierliche Eröffnung der Ausstellungen – nachdem das umgebaute Haus für Veranstaltungen schon im September 2017 freigegeben worden war.

 
Herr Giese, am Freitag werden die Ausstellungen eröffnet. Ist doch nur noch ein Klacks für Sie, oder nicht? Immerhin ist das Haus selbst schon seit September 2017 für die Öffentlichkeit zugänglich.
Ganz so leicht ist es nicht. Natürlich kennen wir schon manche Stärken und Schwächen des Hauses, weil inzwischen annähernd 50 000 Besucher hier durchgegangen sind. Aber anfangs ging es um die neue Architektur im Inneren und die städtebauliche Einbindung. Nun geht es um das inhaltliche Konzept und den Anspruch, ein Haus für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Stuttgarts zu sein sowie ein Museum für alle. Jetzt schlägt die Stunde der Wahrheit.
Dann haben Sie trotz des Vorspiels Bammel?
Man freut sich unheimlich, man hat aber Respekt vor dem, was kommt. In einem Jahr wird man darüber sprechen, wie unsere Publikumsfrequenz war und wie viele Zielgruppen wir erreicht haben. Wo das neue Haus steht im Vergleich beispielsweise mit den tollen anderen Museen im Kulturquartier.
Wie wollen Sie über die Messlatte kommen?
Für die Kinder sind wir mit einer eigenen Etage gut aufgestellt. Aber eine Dauerausstellung für alle Zielgruppen und für alle Themen kann es nicht geben. Unsere Ständige Ausstellung „Stuttgarter Stadtgeschichten“ ist eine historische Ausstellung, die Zielgruppe ein klassisches Museumspublikum – und dorthin kommt man in der Regel wenige Male. 15-Jährige werden sie nicht cool finden und müssen das auch nicht. Um die Zielgruppen zwischen den Kindern und den klassischen Museumsbesuchern herzuholen, brauchen wir Gegenwartsthemen in Sonderausstellungen. Wenn wir das schaffen, hätten wir alles richtig gemacht.
Wie ist Ihre Herangehensweise?
Mit der ersten Sonderausstellung, Sounds of Stuttgart, gehen wir ein bisschen in Richtung Science Center. Da wird es praktisch keine Texte geben, sondern einen dunklen Raum und Erlebnisstationen. Das liegt auch daran, dass wir ganz wenige Worte haben, um zu beschreiben, was wir in dieser Stadt hören. Wir machen beispielsweise die Stadtbahn hörbar und fühlbar. Und wir lassen die Leute raten, wo die Laute herkommen.
Ist das die Aufgabe des Museums, ein weiteres Quizspiel zu veranstalten?
Das ist kein Quiz. Das ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der eigenen Stadt, mit ihrem Mix aus Lauten und mit der Frage, warum die Stadt so laut ist. Wie laut die Schallquellen sein dürfen und wie sich das Hörbare zusammensetzt. Unsere Botschaft ist immer und auch bei dieser Sonderausstellung: Wenn du zu uns kommst, setzt du dich mit deiner Stadt auseinander. Und glauben Sie mir: Wenn die Besucher aus Sounds of Stuttgart rausgehen, blicken sie anders auf ihre Stadt. Mich hat diese Ausstellung schon verändert. Ich höre jetzt hin.
Aber wie viele Menschen wird das reizen?
Um die Leute zu erreichen, müssen wir einfach mit etwas Edutainment, also informierender Unterhaltung, und mit Emotion arbeiten. Möglicherweise werden sich einige Senioren trotzdem mit der Ausstellung schwer tun. In die schwarze Box zu gehen, erfordert Mut. Aber ich verspreche, die nächste Sonderausstellung, zum Jahreswechsel, wird klassisch und historisch.
Historisches gibt es in der Dauerausstellung, Gegenwärtiges in der Sonderausstellung. Wie decken Sie die Zukunft ab?
Im ständigen Zukunftssalon errichten wir zum Auftakt ein Zukunftsbarometer. Wir fragen die Besucher, wie sie gestimmt sind, was sie von Stuttgarts Zukunft und ihrer eigenen erwarten und wie sie sich das vorstellen. Da wird eben nicht gefragt, wie Daimler sich die Zukunft der Mobilität und des autonomen Fahrens vorstellt. Das Barometer erhellt die aktuelle Stimmungslage.
Was steht hinter alledem? Wollen Sie Identitätserklärer und -stifter für Stuttgart sein?
Die eine große Erzählung, also die Mastererzählung über Stuttgart maßen wir uns nicht an. Erklären können wir Stuttgarts Identität auch nicht allumfassend. Wir verstehen sie ja selbst nicht. Sie entsteht schließlich erst aus dem Diskurs. Und eigentlich gibt es Tausende von Identitäten. Wir können vielleicht Katalysator für eine Identität sein. Wenn wir das Wir-Gefühl verbessern könnten, wäre das schön. Der Anfang mit dem Palais der Kolchose, die Auseinandersetzung mit dem Hiphop, im Herbst, war ein guter Start.
Was konnten Sie damit bewirken?
Da haben auch Stuttgarter, die nichts mit Hiphop am Hut haben, gesagt: „Das sind nicht geschichtsvergessene junge Wilde. Die lieben ihre Stadt ja auch, genauso wie ich, wenn auch ganz anders.“ Genau das wollen wir. Die Leute zueinander bringen.
Es gibt aber neue Verwerfungen. Stuttgart ist eine Autostadt und das Auto Teil seiner Identität. Plötzlich entwickelt diese Stadt panische Angst, ja Hysterie wegen drohender Teilfahrverbote. Muss Sie das nicht auch zu einer Ausstellung reizen?
Das ist natürlich ein tolles Thema, denn das Auto ist in der DNA dieser Stadt, Stuttgarts Geschichte ist verschränkt mit der Geschichte des Automobils. Plötzlich wankt die Erfolgsgeschichte des Automobils und die ganze Stadt scheint auch zu wanken. Wir werden das sicher einmal aufgreifen, aber zur Eröffnung schied es mangels Zeit aus. Große Ausstellungen brauchen generell viel Zeit und Recherchen. Man plant sie zwei Jahre vor der Eröffnung. Beim Auto, beim Feinstaub und bei den Stickoxiden handelt es sich auch noch um vermintes Gelände. Da muss man sehr genau sein und ordentlich wissenschaftlich arbeiten, wenn man Antworten liefern will. Aber wenn wir das einlösen können, ist mir egal, ob die Antworten den Leuten passen oder nicht.
Sehen Sie noch ähnlich kitzlige Themen?
Auch das Thema Armut oder strukturelle Verlierer, denen es schlechter geht, könnte etwas für uns sein. Die gibt es in jeder Stadt. Man könnte ja ohne Moralisieren fragen, wie viele es in Stuttgart sind.
Kein Moralisieren, aber ein Zeigefinger?
Ich bin da zurückhaltend. Historische Museen tun sich leichter, in der Rückwärtsperspektive auf guter Fachgrundlage Impulse zu geben und den Besserwisser zu geben. Wir können nur bescheiden versuchen, Impulse zu geben für die Gegenwart. Vielleicht auch für Projekte wie das Rosensteinviertel.
Ist das Stadtpalais also auch ein Beitrag zu mehr Beteiligung und Demokratisierung?
Ich bin nicht so vermessen, uns als Demokratisierer zu gerieren. Wir werden aber sicherlich immer versuchen, auch mal andere zu Wort kommen zu lassen und ungewohnte Teilnehmer aufs Podium zu bitten. Solche, die bisher keine Stimme haben. Wir wollen ohne Scheuklappen und Berührungsängste arbeiten und den Mut haben, nicht nur für die üblichen Verdächtigen da zu sein. Ich möchte nicht immer diese Wohlfühldinge und keine Langeweile. Letztlich geht es darum, die Leute zum Nachdenken über ihre Stadt zu bringen. Mit Erlebnissen, die nur wir in unseren Räumen bieten können.
Wie sicher sind Sie, dass Ihr Kurs stimmt?
Ich denke, dass wir uns immer wieder auf den Prüfstand stellen müssen. Wir gehen einen neuen musealen Weg, anders als in vielen Städten. Möglicherweise muss man ab und zu an der einen oder anderen Stelle einen Schlenker machen, damit es in die richtige Richtung geht. Wir müssen uns ausprobieren und wir werden uns entwickeln – wie jede gute Institution.

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgarter-wilhelmspalais-stadtmuseum-oeffnet-am-14-april.beb17985-c9c9-482c-a6bb-23a6e100e5fd.html

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.museumsfachmann-zum-wilhelmspalais-in-stuttgart-kritik-an-der-architektur-des-stadtmuseums.d3db3b25-8215-402f-9ee1-9c1058de2096.html