Über 200 000 Besucher zählte das Stadtmuseum im Stadtpalais binnen achteinhalb Monaten. Das übertrifft selbst die kühnsten Erwartungen. Der Direktor Torben Giese bleibt dennoch vorsichtig. Er hat Gründe dafür.

Stuttgart - „Wir können nicht mehr machen, als an den Türen zählen“, sagt Torben Giese, Direktor im Stadtpalais. Und die Zählmaschinen verzeichneten rund 230 000 Besucher, die im Jahr 2018 im früheren Wilhelmspalais seit der Eröffnung der Ausstellungen binnen achteinhalb Monaten ein- und ausgingen. Manche seien allerdings nur unten durchgegangen, zum Kaffeetrinken gekommen oder für einen Blick ins Foyer, sagt Giese. Daher korrigierte er die Zahl auf „über 200 000“.

 

Der Direktor zog, wie am Jahresende viele Menschen, Bilanz. Die hat hier aber vorläufigen Charakter, weil das erste Jahr des Stadtmuseums eben noch nicht voll ist. Seit Mitte September 2017 war das frühere Wohnhaus des württembergischen Königs Wilhelm II., die spätere Stadtbücherei, zwar wieder offen nach einem einschneidenden Umbau zum Stadtmuseum, bis Mitte April gab es aber nur Zwischennutzungen, keine regulären Museumsausstellungen.

In der ersten Woche war der Andrang besonders hoch

Mit den 200 000 Besuchern liege man weit über den Erwartungen beim Start, sagt Giese. Der Zuspruch war in der ersten Woche mit 23 000 Personen besonders stark. Während des Normalbetriebs sei er nicht wirklich eingebrochen. Wozu das Sommerfestival „Stadt am Meer“ beitrug, das viele Stuttgarter zum Planschen und Surfen in Wasserbecken im Palaisgarten lockte – und eine Art Hommage an die Bemühungen einer Initiative um eine Neckarwelle für Surfer war.

Giese bleibt jedoch vorsichtig. Das erste Museumsjahr ende erst Mitte April 2019. Über Erfolg oder Misserfolg könne man frühestens am Jahresende 2019 richten.

Noch sei man im Rausch. Noch werde man davon getragen, dass das Museum den Zauber des Neuen habe. Doch den Erfolg müsse man verstetigen. Dabei komme es, weil inzwischen viele in der Dauerausstellung waren, zunehmend auf die Sonderausstellungen an. Das zwingt Giese und sein Team, laufend neue Überraschungen zu bieten. Genauer gesagt: drei spannende Sonderausstellungen binnen zwei Jahren, denn mehr als anderthalb Sonderausstellungen pro Jahr gebe das Budget nicht her.

Der Direktor und sein Team wollen unberechenbar bleiben

Mit den bisherigen Überraschungseffekten ist er recht zufrieden, wobei ihm schon klar ist, dass die gegenwärtige Sonderausstellung „Manfred Rommel“ über den populären Ex-Oberbürgermeister sich an ein älteres Publikum richtet, das dafür Eintritt zahlt. Mit dem Gesamtprogramm aber habe man es aber „gut geschafft“, unterschiedliche Kreise anzusprechen. Den erwartbaren Besucherkreis habe man „signifikant um Menschen von 25 bis 40 Jahre erweitert“. Zwanzigjährige anzulocken, bleibe schwierig.

Von der Idee, eine Ausstellung für alle zu machen, hatte sich Giese schon zu Beginn verabschiedet. Motto: Um unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen, brauche man unterschiedliche Instrumente, Themen, „Erzählungen“, Plakate und so weiter.

„Wir wollen unberechenbar bleiben, immer wieder zu überraschen versuchen und auch Unterhaltsames bieten, Impulse setzen“, verspricht er. Die Strahlkraft für städtebauliche Diskussionen möchte Giese noch ausbauen. Letzte Gewissheiten, womöglich gar wissenschaftliche, verspricht er nicht: „Wir sind nicht das Institut für Stuttgarter Urbanistik, das alles besser weiß.“ Man wolle aber weiter ein lebendiger Ort für alle Stuttgarter sein, offen für alles. Man wolle weiter neue Wege beschreiten, Museum für Geschichte, Gegenwart und Zukunft sein. Davon sieht Giese etliches schon eingelöst. Nicht so sehr in der Sparte Zukunft, die sei besonders schwierig. Grundsätzlich jedoch „haben wir den Nerv der Stuttgarter getroffen“, sagt er, „und diesen Weg gehen wir selbstkritisch weiter“.

Der Umgang mit dem alten König ist ungeklärt

Das Frühjahr 2019, verrät Giese, werde in Anbetracht der Kommunalwahl am 26. Mai ein „Wahllabor“ bringen, das die Besucher mit ihren eigenen Vorurteilen über die Politik konfrontieren und vor allem junge Menschen zum Mitentscheiden anstacheln soll. Für 2020 könnte er sich die Thematisierung von Armut und Drogen in Stuttgart vorstellen. Das kitzlige Themenkonglomerat Luftbelastung, Autostadt, Automobilindustrie und Zukunft des Standortes hat er offenbar (noch) nicht auf dem Zettel.

Eine ganz besondere Gretchenfrage, über die Giese ungern spricht, harrt auch noch der Beantwortung: Wie man im vormaligen Wilhelmspalais mit dem alten König umgeht. Über einer Eingangstür gibt es noch ein kleines Wilhelm-Fries. Doch nicht wenige Stuttgarter grollen, weil das Wilhelm-II.-Denkmal von vorn auf die Südseite des Gebäudes verlagert wurde und das Wilhelmspalais umbenannt wurde. Darüber hinaus wäre die Geschichte von Wilhelm II. und seinem Wohnsitz wohl auch ein veritabler Fall fürs Museum. „Wir sind mit seiner Person verknüpft“, gibt Giese zu, „wir müssen was zu Wilhelm machen.“ Das Denkmal – alter König mit Hut und Hunden – hat offenbar viele Freunde, die es nicht am Rande des Grundstücks und des Geschehens sehen wollen, auch wenn der Historiker Giese es etwas verklärend findet. Es wäre schön, meint er vorsichtig, wenn man darüber mit den Besuchern in eine Diskussion käme – wo immer das Denkmal dann landet.

Bis auf Weiteres steht Wilhelm vor allem für eines: für die Schwierigkeit der Museumsleute, den Sagenhaften zu thematisieren, seiner Beliebtheit gerecht zu werden und sie trotzdem zu hinterfragen. Und dabei auch noch unterhaltsam zu sein.