Das Landgericht Stuttgart betritt juristisches Neuland. Es nimmt erstmals einen Bordellmitarbeiter für die Gewalt gegen Prostituierte in Verantwortung. Für die anderen Angeklagten könnte es eng werden, sagt StZ-Autorin Hilke Lorenz.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart - Es geht in dem Prozess gegen die Betreiber des Paradise, dem angeblich sauberen Vorzeigebordell auf den Fildern, nicht um Fragen der Moral. Hätten in dem FKK-Club nicht die bereits verurteilten Angehörigen der Hells Angels und United Tribunes Frauen aufs Brutalste zur Prostitution gezwungen, könnte man zwar über das Weltbild der Beteiligten geteilter Meinung sein. Aber ein Fall für die Gerichte wäre das Geschehen an der Peripherie Stuttgarts nicht. Der Gesetzgeber erlaubt Prostitution. Mehr aber auch nicht.

 

Es geht um Straftaten und nicht um Moral

Um das Mehr geht es in dem Mammutprozess vor dem Stuttgarter Landgericht seit März. Das Gericht trägt ebenso professionell wie geduldig akribisch Puzzleteile der Wahrheit zusammen. Es geht um Straftaten, die vielleicht wirklich oft zum Rotlichtmilieu gehören, deswegen aber nicht entschuldbar sind und toleriert werden dürfen. Sie müssen vielmehr von den Betreibern mitgedacht und abgestellt werden. Die Strafkammer hat die Anklage nach langen Ermittlungen zugelassen. Nach über 40 Verhandlungstagen sieht sie sich nun bestätigt, zumindest der Paradise-Geschäftsführer habe von diesen Praktiken gewusst.

Hinweis an die anderen Angeklagten

Dieses erste Urteil in dem Prozess ist zugleich das bundesweit erste Urteil, das Bordellbetreiber aufgrund ausführlicher Ermittlungen in die Verantwortung nimmt. Die Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung ist ein Kompromiss. Er macht aber deutlich: Die Schlinge um den Hals der anderen Angeklagten im Rotlichtkomplex zieht sich zu. Im Falle ihrer Verurteilung werden sie wohl die höchstrichterliche Meinung zum Urteil suchen, um die Rechtsauffassung der Stuttgarter Richter prüfen zu lassen. Auch das macht das Urteil so wegweisend.