Erstmals seit Olympia 2014 kehren deutsche Biathleten ohne Gold vom Saisonhöhepunkt zurück. Der Grund liegt am Schießstand. Eine Momentaufnahme? Oder ein Fehler im System? Unsere WM-Analyse.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Antholz - Ein guter Schluss ziert alles, heißt es. Aus dieser Sicht haben die deutschen Biathleten eine wunderbare Chance ausgelassen, die stimmungsvolle WM mit einem besänftigenden Ergebnis zu beenden. Im Massenstart der Frauen am Sonntag blieben die Staffel-Silbergewinnerinnen ein gutes Stück hinter den Erwartungen. Franziska Preuß, der zuverlässige VW Käfer, belegte als Beste Platz acht, gut eine Minute hinter der nun fünfmaligen Weltmeisterin Marte Olsbu Röiseland (Norwegen). Von den deutschen Männern gelang es nur Johannes Kühn, als Zehnter in die Top Ten vorzustoßen. Johannes Thingnes Bö setzte den Spruch mit dem guten Schluss um – mit seinem Triumph gewann er sein erstes Einzel-Gold in Antholz.

 

Im Medaillenspiegel liegt Deutschland auf Platz 5

Deutschland liegt im Medaillenspiegel auf Platz fünf, ohne Gold. Karin Orgeldinger sieht darin keinen bemerkenswerten Makel für die Bilanz des Deutschen Skiverbandes (DSV). „Wir analysieren alle Teilbereiche, unabhängig von der Zahl der Medaillen“, sagt die Sportdirektorin, „wir hatten ganz hervorragende Ergebnisse von Athletinnen und Athleten.“ Viermal Silber, einmal Bronze. Dafür muss sich keiner schämen.

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Mag zutreffen, dass man die gesamte WM bewerten muss, nicht nur Ergebnisspitzen. Dennoch: Für eine Nation, die sich zu den führenden Biathlon-Kräften weltweit zählt, wäre ein Titel mehr gewesen als schmückendes Beiwerk. Es wäre ein Nachweis des sportlichen Führungsanspruchs – auch wenn in dieser Sportart hinlänglich bekannt ist, dass eine Winzigkeit am Schießstand den Unterschied zwischen Gold und Silber ausmachen kann. Oft liegt nur ein Treffer zwischen Himmel und Hölle. Hätten Denise Herrmann in der Verfolgung oder ein Mitglied der Frauen-Staffel einen Fehler weniger geschossen, hätte es zu Gold reichen können. Doch hätte, wäre und wenn gelten nicht.

Auf der Strecke zählen die Deutschen zu den Besten

Es zählen Fakten: Erstmals seit den Olympischen Spielen 2014 kehren deutsche Biathleten vom Saisonhöhepunkt ohne Gold zurück, es müssen ja nicht gleich sieben Titel sein wie bei der Traum-WM 2017. Ein Jahr später bei Olympia in Südkorea gab es drei Goldene, 2019 in Östersund noch zwei. Jetzt steht bei Frauen und Männern die Doppelnull, was nur im Schießen eine Auszeichnung ist. „Wir sind insgesamt zufrieden“, bekräftigt Orgeldinger, „wir haben uns in der Saison kontinuierlich weiterentwickelt und im Laufen gute Ergebnisse erzielt.“ Da wird ihr niemand widersprechen, auf der Strecke zählen die Deutschen, vor allem Denise Herrmann, Benedikt Doll und der junge Philipp Horn, zu den Schnellsten.

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Die Wurzel des Übels liegt im Schießen. Im Massenstart leisteten sich Preuß (3), Herrmann (7), Karolin Horchler (3) und Vanessa Hinz (3) insgesamt 16 Fahrkarten; Kühn (4), Doll (4), Arnd Peiffer (5) und Horn (7) waren mit insgesamt 20 Nieten noch wackeliger. Die Bedingungen in Antholz waren schwierig, doch die anderen Starter haben doch auch getroffen, oder nicht? Die Kritik taucht nicht erst jetzt bei der WM auf, sie begleitet die Biathleten seit dem Saisonauftakt, als die Mannschaft von wenigen Ausnahmen abgesehen enttäuschte – und auch in der Folge immer wieder am Schießstand schwächelte. Um die Jahreswende hatte es ein Scharmützel um die Zuständigkeiten von Schieß-Bundestrainer Gerald Hönig gegeben, die wachsweich gekittet wurde.

Sportdirektor Eisenbichler sieht kein Problem

Nun kehrte das große Zittern am Schießstand zurück. „Ein Schießproblem sehe ich nicht“, betonte Bernd Eisenbichler, der sportliche Leiter, „unser System ist im Spitzenbereich sehr gut.“ Der Verband will aber im Frühjahr prüfen, ob ein ausländischer Schießtrainer verpflichtet wird, zusätzlich zum neu geschaffenen Schießkompetenzteam, das aus Hönig, Waffenmeister Sandro Brieslinger und Ex-Biathlet Michael Rösch besteht.

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Hat der DSV im Nachwuchs geschludert, weil das Gold, vornehmlich von Laura Dahlmeier, viele weiße Flecke übertünchte? Orgeldinger tritt dem energisch entgegen. „Wir haben bereits erste Schritte unternommen, um den Erfolg abzusichern“, betont die Sportdirektorin, „wir hatten starke Leute am Start, ich kann keine Phase erkennen, in der wir keinen Erfolg gehabt hätten. Aber wir müssen unsere Nachwuchskonzepte stringenter umsetzen.“ Für diese Aufgabe hat der DSV im Frühjahr 2019 Bernd Eisenbichler geholt. Der Frasdorfer soll Strukturen schaffen, um Talente zu erkennen und aufzubauen. „Wir werden jungen Athleten früh die Chance auf internationale Wettkämpfe geben und alles perspektivischer angehen“, sagte der 44-Jährige. Vom 10. bis zum 21. Februar 2021 findet die WM in Pokljuka statt. Nicht nur Eisenbichler wird bis dahin ziemlich beschäftigt sein.