Abstand halten? Mundschutz tragen? Das sei kleinen Kindern nicht zu vermitteln. Das Stuttgarter Jugendamt und der evangelische Kitaträger sehen große Probleme bei der Umsetzung der erweiterten Notbetreuung – und fürchten um die Gesundheit ihrer Erzieherinnen.

Stuttgart - Mit der Lockerung der Coronaregeln soll auch die Notfallbetreuung in den Kitas ausgeweitet werden. Von 27. April an haben laut Kultusministerium auch Eltern Anspruch darauf, die nicht in systemkritischen Berufen arbeiten. Sie müssen sich vom Arbeitgeber bestätigen lassen, dass sie Präsenzpflicht bei der Arbeit haben – bei Selbstständigen reicht eine Eigenbescheinigung.

 

Diese Ausweitung macht Stuttgarter Kitaträgern schwer zu schaffen. Susanne Heynen, die Leiterin des Jugendamts, berichtet, viele seien „entsetzt“ über die Ausweitung, da sie nur schwer oder gar nicht mit den Hygieneregeln im Zuge von Covid-19 zu vereinbaren sei. Jörg Schulze-Gronemeyer vom evangelischen Kitaträger vermisst für seine 106 Einrichtungen klarere Vorgaben: „Wir fühlen uns nicht ausreichend unterstützt.“

Bisher werden in Stuttgart insgesamt rund 470 Kinder notfallmäßig in ihren Kitas betreut. Von kommenden Montag an werden es wohl deutlich mehr sein. „Schon jetzt ist klar: wir werden nicht alle Anträge berücksichtigen können“, sagt Susanne Heynen. Denn die Gruppen dürfen nur maximal halb so groß sein wie sonst üblich. Außerdem sei bisher noch unklar, wie viele Fachkräfte überhaupt zur Verfügung stünden, da nicht bekannt sei, wie viele von ihnen selber zur Risikogruppe gehören. Die Amtsleiterin betont: „Die Kitas sind zu – es ist eine Notgruppenbetreuung.“ Den Eltern müsse klar sein, je größer die Gruppen sind, desto größer sei auch die Ansteckungsgefahr. Für die Kinder, aber auch für die Erzieherinnen. „Ein 14 Monate altes Kind und 1,5 Meter Abstand halten – das geht nicht“, sagt Heynen. Auch Kindern eine Maske aufzusetzen sei utopisch. Das sieht auch der Gesamtelternbeirat der Stuttgarter Kitas so: „Unsere Kinder sind in dieser herausfordernden Zeit am besten in der eigenen Familie aufgehoben“, schreibt er den Eltern.

Abstandsregel ist in den Kitas schwer umzusetzen

Die erweiterte Notfallbetreuung will das Jugendamt anders organisieren: mit neuen Regeln fürs Bringen und Abholen der Kinder, die Betreuung selbst in festen Gruppen, mit festen pädagogischen Fachkräften, in festen Räumen. „Die Kinder können dann nicht wie sonst in der Kita rumlaufen, sondern das ist dann eher wie früher“, sagt Heynen. Jörg Schulze-Gronemeyer befürchtet auch, dass die Räumlichkeiten gar nicht ausreichen, um die Gruppen auseinanderzuziehen, etwa in einer achtgruppigen Kita am Killesberger Höhenpark. Denn der Außenbereich der Kita sei klein, und in den Park dürften die Kinder ja nicht. Es dürfe also gleichzeitig nur eine Gruppe nach draußen, in den Kitagarten – „ein Riesenaufwand“.

Auch Schulze-Gronemeyer fragt sich, wie das mit der Hygiene funktionieren soll, wenn man Kleinkindern sage: „Wasch dir mal die Hände.“ Und das bei Gruppen mit immerhin noch bis zu zehn oder zwölf Kindern. „Es gibt keine Aussagen dazu, wie man sich im frühkindlichen Bereich schützen kann“ ergänzt er. Hinzu komme, dass sich die Preise für Flächen- und Handdesinfektionsmittel nahezu verzehnfacht hätten. Besonders aber treibt ihn um, wie mit einem Verdachtsfall umzugehen sei: „Was ist, wenn ein Kind hustet? Wird dann vorrangig getestet? Dazu gibt es keine Aussagen – eine Hotline wäre gut.“ Unklar sei auch, was mit dem Passus gemeint sei, dass Eltern bestätigen sollen, dass eine familiäre oder anderweitige Betreuung nicht möglich ist. Denn die Großeltern sollen ja ohnehin außen vor bleiben, wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wieder und wieder betont hat. Ebenfalls unklar sei, wie eine Zugehörigkeit zur Risikogruppe festzustellen sei: „Soll das jeder selber entscheiden? Oder braucht man ein ärztliches Attest?“, fragt sich Schulze-Gronemeyer und wünscht sich klarere Vorgaben: „Der Rahmen lässt zu viele Spielräume.“

Bis Freitag sollen die Eltern ihre Rückmeldungen schicken

Derweil laufen die Vorbereitungen zu der erweiterten Notbetreuung auf Hochtouren: Personalfragen klären, Eltern informieren, Abfrageformular entwerfen – letzteres wolle man gemeinsam mit der Stadt tun, sagt Schulze-Gronemeyer. Bis Freitagmorgen sollen die Eltern ihre Rückmeldung schicken – „dann entscheiden wir zusammen mit den Einrichtungen, was möglich ist.“ Susanne Heynen drückt das etwas anders aus: „Wir werden alles tun, um mit diesem Zielkonflikt konstruktiv umzugehen – aber es ist eigentlich nicht möglich.“

Konzept-e, ein freies Trägernetzwerk für Bildung und Betreuung mit Kinderhäusern in Stuttgart und Umgebung, hält die erweiterte Notbetreuung „nicht für den richtigen Ansatz“. Um dem Abstandsgebot zu entsprechen, halte man maximal fünf Krippenkinder und zehn Kindergartenkinder pro Gruppe für geboten, heißt es in einem Brief an die Eltern.

Ungeklärt ist bisher, ob die Stuttgarter Kita-Eltern auch im Mai oder womöglich auch Juni mit einer Gebührenerstattung rechnen können. Am Dienstag hat OB Fritz Kuhn (Grüne) die Landesregierung aufgefordert, den Eltern für zwei weitere Monate die Gebühren zu erlassen. Für April hat die Stadt Stuttgart die Familien bereits entlastet – in Höhe von rund 3,7 Millionen Euro. Doch das Soforthilfeprogramm des Landes reiche nicht, um weitere fehlende Einnahmen der Kommunen durch die verlängerte Kitaschließung abzudecken.