Papst Franziskus hat mit Wilton Gregory erstmals in der US-Geschichte einen Schwarzen zum Kardinal nominiert. Eine Botschaft an Amerikas Katholiken kurz vor der Präsidentschaftswahl? Wohl eher weit darüber hinaus.

Washington - Die Eindrücke von dem offenen Sarg mit dem Leichnam des 14-jährigen Emmett Till, den weiße Rassisten 1955 in Mississippi ermordeten, verfolgen Erzbischof Wilton Gregory bis heute. Seine Eltern hatten ihren Sohn damals an dem geschändeten Körper des schwarzen Teenagers vorbeigeführt, der zur Beisetzung an seinen Geburtsort Chicago zurückgekehrt war.

 

„Ich erinnere mich daran, wie mich dieses schreckliche Ereignis überwältigt hat“, erzählte der heute 72-jährige Gregory im Juni in einem Online-Forum der von Jesuiten geleiteten Georgetown University. Wie Emmet wuchs Gregory auf der armen South Side von Chicago auf. Heute blickt der Erzbischof von Washington auf eine lange Karriere in der katholischen Kirche zurück. Und am Wochenende kündigte Papst Franziskus seine Erhebung in den Kardinalsstand an. Am 28. November wird er zusammen mit zwölf weiteren Geistlichen in den Senat des Papstes aufgenommen.

Gregorys Mutter war Sängerin

Gregorys Mutter, eine Sängerin, verdiente ihr Geld unter anderem mit Radio-Clips für den Hersteller von „Aunt Jemima“-Produkten, die mit dem rassistischen Stereotyp einer schwarzen Köchin für Sirup und Pfannkuchenmischungen warben. Der Vater arbeitete mit den ersten Computern. Beide Eltern waren nicht religiös, pflanzten ihrem Sohn aber einen tiefen Sinn für soziale Gerechtigkeit ein. Der Abschied am Sarg des geschändeten Emmett gehörte dazu.

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Deutliche Worte fand der Erzbischof beispielsweise zuletzt für Donald Trumps Auftritt am Schrein für den heiligen Papst Johannes Paul II. in Washington. Die konservativen Kolumbus-Ritter, die den Schrein verwalten, hatten den Präsidenten dort nach der gewaltsamen Vertreibung friedlicher „Black Lives Matter“-Demonstranten vor dem Weißen Haus willkommen geheißen.

Erzbischof setzt sich für Aufklärung des Missbrauchs ein

Der sonst eher diplomatisch auftretende Gregory nannte es „verwirrend und verwerflich“, dass eine katholische Einrichtung es zulasse, auf so „ungeheuerliche Weise missbraucht und manipuliert zu werden“. Das saß - und trug dem im Mai 2019 angetretenen Nachfolger des über den Umgang mit dem Missbrauchsskandal gestolperten Kardinal Donald Wuerl (79) Kritik ein. Es sei schändlich, so ein Sprecher des Weißen Hauses, dass der neue Erzbischof „den tiefen Glauben und die Motive des Präsidenten infrage stellt“.

Die Religionshistorikerin Anthea Butler von University of Pennsylvania hob in der „Washington Post“ hervor, welche Wirkung der Erzbischof einer der wichtigsten US-Diözesen in dem gesellschaftlich tief gespaltenen Land mit seinen Äußerungen erzielte. „Er hat mit seinem ganzen Körper gesprochen. Er ist am Ende ein schwarzer Mann.“

Keine überraschende Entscheidung des Papstes

Dass Papst Franziskus Gregory in den Kardinalsstand erhebt, war erwartet worden. Seit 1947 erhielt jeder Erzbischof von Washington diese Würde. Und mit Wuerl erreicht Gregorys Vorgänger am 12. November jene Altersgrenze, mit der Kardinäle ihr Stimmrecht für die Papstwahl verlieren; der Platz für Washington wird also in gewisser Weise für den derzeitigen Amtsinhaber frei.

Dennoch halten manche Beobachter den Zeitpunkt der Ernennung - knapp eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen am 3. November - für mehr als einen Zufall. Wohl eine Überinterpretation; der entscheidendere Schritt von Franziskus war Gregorys Beförderung nach Washington, ins Herz von Amerikas Demokratie.

Katholiken sind wichtige Wählergruppe

Die 51 Millionen Katholiken stellen in den entscheidenden „Swing States“ von Arizona, Michigan, North Carolina, Ohio, Pennsylvania und Wisconsin eine starke Wählergruppe - und sie könnten dort das Zünglein an der Waage sein. Joe Biden, ein praktizierender Katholik, und Trump investieren jeweils große Ressourcen, um diese Klientel zu umwerben.

Die Berufung des ehemaligen Vorsitzenden der US-Bischofskonferenz ins Kardinalskollegium, das den nächsten Papst wählt, mag als Wink an die US-Katholiken verstanden werden, ihre Entscheidung am 3. November gut zu überdenken. Mit der Nominierung des ersten schwarzen Kardinals in der US-Geschichte gibt Franziskus jedenfalls klar zu erkennen, wo er steht.