Das Finale des Eurovision Song Contests in Wien war spannend wie selten, doch die Deutschen erleiden einen gnadenlosen Schiffbruch. Eine Nachlese.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Wien - Dass die ganze Sache nicht so richtig rund laufen würde, hatte man sich schon gedacht. Am Freitag hatte die ortsansässige Presse „unsere“ Ann Sophie noch madig gemacht, weil die Dame erst erkältungsbedingt ihren Auftritt beim Public Viewing auf dem Rathausplatz abgesagt hat und sich dann „zickig und mürrisch“ bei den Interviewterminen angestellt haben soll. Am Samstagnachmittag sank sie dann in den Vorhersagen bei den ebenso wie die Angelsachsen wettwütigen Österreichern auf den vorletzten Platz, hinter ihr lag da nur noch die an den Rollstuhl gefesselte Polin, was - nachdem die gehandicapten Finnen ja schon im ersten Halbfinale schmählich rausgekegelt wurden – ein ganz schön bitteres Licht darauf wirft, wie weit im Jahr 2015 beim Thema Inklusion Wunsch und Wirklichkeit noch auseinanderliegen.

 

Aber es sollte für die deutsche Starterin dann noch schlimmer kommen. Dass gegen die Wurst kein Kraut gewachsen war und auch Österreich keinerlei Lorbeer ernten konnten, tröstet da nicht: denn nun haben wir den Salat! Doppelten Schiffbruch hat Ann Sophie erlitten, Letzte ist sie geworden. Und zwar ohne, dass ihr irgendwer aus vierzig abstimmenden Nationen auch nur einen einzigen Punkt hat zukommen lassen wollen – das gab’s bisher nur zwei Mal, lang her ist’s obendrein, in den sechziger Jahren bei allerdings weitaus weniger Teilnehmern. Kiel oben, Hamburg unten, die Stadt, von der aus die in London geborene und in New York ausgebildete Sängerin doch eigentlich ihre Riesenkarriere starten wollte. Vor einem an die zweihundert Millionen Zuschauer ragenden Publikum, weil der Song Contest erstmals auch in China ausgestrahlt wurde, ging ihr Auftritt gründlich in den Hosenanzug.

Ihr neues Album „Silver into Gold“ dürfte nun wie Blei in den Regalen liegenbleiben. Und auch wenn’s müßig ist darüber zu spekulieren, ob Deutschland mit dem eigentlichen Sieger des nationalen Vorentscheids, Andreas Kümmert, besser abgeschnitten hätte: das war eine Blamage nach Strich und Faden, die mit langem Anlauf bei einer verpatzten Wahl in Hannover begann und in Wien endete. Sie wird ihr reichlich Spott einbringen, es darf aber auch die Frage aufgeworfen werden, ob die deutsche Vorauswahl überdacht werden muss, die wesentlich von den Interessen der Plattenfirmen bestimmt ist und bei der nicht wie in anderen Ländern richtige nationale Stars oder zumindest Sieger von Castingshows gekürt werden. Seit Lena Meyer-Landruts Sieg in Oslo haben die deutschen Teilnehmer keinen Blumentopf mehr gewonnen, und sich auch davor nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Die Landsmannschaften funktionieren - außer für Deutschland

Nicht einmal aus den Nachbarländern hat Ann Sophie Punkte bekommen, während ansonsten die offenbar unausrottbare landsmannschaftliche Zuschusterei wie immer bestens funktioniert hat. Die Montenegriner vergeben ihre zwölf Punkte an die üppige Serbin, die Finnen zwölf an Schweden, die Griechen greifen den Zyprioten freundlich unter die Arme – alles wie gehabt. Die Deutschen indes verteilen ihre Höchstwertung ausgerechnet an Russland, in deren Beitrag es darum geht, Frieden in die Welt bringen zu wollen...aber nun gut, beim Songcontest handele es ja nicht um einen politischen Wettbewerb, wie die Moderatorin Alice Tumler tatsächlich ganz ironiefrei bei der Show gesagt hat.

Künstlerisch immerhin geht der zweite Platz für die Russin Polina Gagarina in Ordnung, ohnehin wurden die vorderen Ränge zwar größtenteils wie vorab erwartet, aber letztlich berechtigt verteilt. Den Sieg in einem sondergleichen spannenden Finale, in dem Gagarina lange und hoch führte, fuhr am Ende der Topfavorit Måns Zelmerlöw aus Schweden ein, der den zweitbesten Song und die mit Abstand beste, weil originellste Performance vorweisen konnte. Sehr in Ordnung gehen der dritte und vierte Rang für die bestens auftrumpfenden Italiener und Belgier; mehr als respektabel ist der fünfte Rang für den Geheimfavoriten Guy Sebastian aus Australien; schön der sechste und siebte Rang für die sehr gute Performance der Letten und Esten; fein schließlich die Top-Ten-Platzierung für den erfrischenden israelischen Beitrag.

„Ich war mir sicher, dass Russland oder Italien gewinnen“, erzählte sichtlich übermannt Måns Zelmerlöw um viertel vor zwei bei der Siegerpressekonferenz am Ende einer rundherum gelungenen Show (mit einem reizenden Moderatorinnentrio, endlich mal wieder Stehplätzen im Innenraum, dem guten alten Radiosinfonieorchester, den Wiener Sängerknaben, einer Hommage an Udo Jürgens und der apart-entwaffnenden Conchita Wurst als Zutaten) über jenen Moment, in dem er in der Green- Room-Sitzecke als einziger nicht begreifen konnte, dass er bereits als Sieger feststand. Ann Sophie war zu dieser späten Stunde schon längst grußlos entschwunden, sie werden wir im nächsten Jahr – vermutlich in Göteborg oder Stockholm, Malmö war ja erst 2013 dran – vermutlich auch nicht wiedersehen. Sie wolle sich allerdings nicht entmutigen lassen und weiterhin Musik machen, ließ sie noch verlauten. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Wenigstens das stimmt doch tröstlich.