Die Sängerin und Bassistin Esperanza Spalding ist als Künstlerin konsequent und trotzdem Everybody’s Darling. Auf ihrem aktuellen Album gibt sie Körperteilen Klänge.

Stuttgart - enn Esperanza Spalding in die Saiten des Kontrabasses greift, scheint sich das riesige Instrument ihren federleicht tanzenden Fingern hinzugeben, als wolle es sich anschmiegen an den Fluss ihrer intuitiven Kreativität. Ein natürliches Strahlen umgibt die zierliche Musikerin auf der Bühne, und wenn sie dann noch die Stimme erhebt, klingt es fast so, als wäre sie nicht von dieser Welt – sondern aus einer anderen, wohlklingenderen Sphäre, in der es um mehr geht.

 

Esperanza Spalding stammt aus Portland, Oregon, sie musiziert, seit sie fünf ist, und sie war 2004 mit 20 die jüngste Dozentin aller Zeiten am Berklee College of Music in Boston. Der US-Präsident Barack Obama nahm Spalding als Musikerin mit, als er 2009 in Oslo seinen Friedensnobelpreis entgegennahm, und er lud sie danach immer wieder zum Musizieren ins Weiße Haus ein.

Nun ist Spalding 34, immer noch jung also, doch das Jazz-Wunderkind ist längst zum Gesamtkunstwerk gereift. Sie entferne sich zunehmend von der Bezeichnung „Künstlerin“ hin zu einer „Konzept-getriebenen Identität“, vermerkt sie aus gutem Grund zu ihrem siebten Album „12 Little Spells“. Digital hat sie die 12 Stücke bereits Ende 2018 veröffentlicht, an diesem Freitag nun erscheint der Tonträger, erweitert auf 16 Stücke. Und die erzählen ein jedes von einem anderen Körperteil. „Thoracic Spine“ (Brustwirbelsäule) ist ein exquisiter experimenteller Popsong, in dem sich irrwitzige Gesangslinien und harmonischer Satzgesang ganz selbst verständlich vereinen. Den Mund besingt Spalding in „To tide us over (Mouth)“ vor einer munter wabernden Klangwand, das Auge kommt als melancholischer Geselle daher in „Until the next ful (Eyes)“, die Hüften wiegt die Musikerin mit Orgel in fröhlichem Dur in „Thang (Hips)“, die Füße bittet sie aufs Parkett in „You have to dance (Feet)“

Es ist ein Trio-Album, bereits das dritte mit dem vor zündenden Ideen sprudelnden Matt Stevens an der E-Gitarre und Justin Tyson am Schlagzeug, der auch Orgel und Synthesizer bedient. Beide waren 2017 dabei, als Esperanza Spalding das von furiosem Jazz-Fieber erfüllte Album „Exposure“ (Ausgesetztsein) in einer 77-stündigen Internet-Liveübertragung aus dem Studio aufnahm, von dem es nur 7777 Exemplare auf Vinyl gibt.

Und sie waren Spaldings Mitstreiter auf dem famosen Album „Emily’s D+Evolution“ (2016), auf dem sie es geschafft hat, facettenreiche Rocksongs so weit wie möglich ins Unerhörte zu drehen.

Esperanza Spalding ist einen weiten musikalischen Weg gegangen, seit dem zugänglicheren Album „Chamber Music Society“, mit dem sie 2011 als erste Jazz-Musikerin überhaupt den Grammy als „Best New Artist“ gewann. Dabei hat sie sich ihre sonnige Ausstrahlung bewahrt und ihre klare Haltung: All ihr Schaffen kündet von einem freien Geist, ungezügelter Kreativität und einer unbändigen Freude am Dasein. Reden beginnt sie gerne mit dem Satz: „Ich habe keine Rede vorbereitet“ – um dann scheinbar spontan eine sehr grundsätzliche zu halten. Den Berklee-Absolventen 2018 erklärte sie, beim Künstlersein gehe um Wahrhaftigkeit, und sie zitierte einen Schamanen aus Burkina Faso: „Riten ohne Seele sind wie das Teilen einer Mahlzeit ohne Essen.“

Spielerisch und ungekünstelt bewegt sich Esperanza Spalding im Showbiz, ohne sich zu verbiegen. Eine ihrer schönsten Aufnahmen hat sie für Disney gemacht: eine verwunschene, betörende Version des Schornsteinfegerliedes „Chim-chim Cheree“ aus dem Film „Mary Poppins“.