Dem 18-Jährigen, der wegen einer vereisten Autoscheibe mehrere Schüler angefahren hat, wurde der Führerschein nicht an Ort und Stelle abgenommen – wohl wegen einer schwammigen Formulierung im Gesetzestext.

Esslingen - Wer betrunken Auto fährt, muss bei einer Kontrolle sofort den Führerschein abgegeben. Wer seine vereiste Autoscheibe nicht gründlich freikratzt und deshalb einen Unfall mit Verletzten verursacht, offenbar nicht. Dem 18-jährigen Autofahrer, der im Esslinger Stadtteil Zollberg am Dienstag in eine Schülergruppe gefahren war, wurde die Fahrerlaubnis nicht von der Polizei an Ort und Stelle abgenommen. Das liegt offensichtlich an einer schwammigen Formulierung im Gesetzestext des Paragrafen 315 c, in dem die sogenannten sieben Todsünden im Straßenverkehr aufgelistet werden, die einen sofortigen Entzug des Führerscheins nach sich ziehen. Dennoch muss der junge Mann laut Michael Schaal, einem Sprecher des Polizeipräsidiums Reutlingen, „mit führerscheinrechtlichen Konsequenzen rechnen“.

 

Bei dem Unfall waren am Dienstagmorgen eine Schülerin schwer und sechs weitere Schüler der Esslinger Zollberg-Realschule leicht verletzt worden. Der Fahrer hatte die Gruppe erfasst, als diese die Zollbergstraße an einer für sie auf Grün geschalteten Fußgängerampel überquerte. Der junge Mann, welcher der Polizei zufolge einen „Führerschein auf Probe“ besitzt, hatte lediglich ein Guckloch in die vereiste Windschutzscheibe seines Kleinwagens, einen Chevrolet Matiz, gekratzt. Dadurch übersah er beim Einbiegen in die Straße offenbar die für ihn Rot zeigende Ampel ebenso wie die Schüler.

Der Führerscheinentzug ist wahrscheinlich

Es mutet merkwürdig an, dass der 18-Jährige seinen Führerschein dann sofort los gewesen wäre, hätte er die Jugendlichen auf einem Zebrastreifen erfasst. Denn dies ist im Paragrafen 315 c unter dem Absatz 1, Nr. 2 c, als Gefährdung des Straßenverkehrs verankert – nicht aber ein Unfall im Bereich einer „Fußgängerbedarfsampel“. Laut Michael Schaal wäre die Fahrerlaubnis von den Kollegen auch dann sofort beschlagnahmt worden, wäre der Fahrer alkoholisiert gewesen oder unter Drogeneinfluss gestanden. Denn das wiederum ist in dem besagten Paragrafen durch den Absatz 1, Nr. 1 a, abgedeckt.

Auf den Fahranfänger wird jedoch mehr zukommen, als ein wahrscheinlicher Führerscheinentzug sowie eine Nachschulung. Denn laut Michael Schaal werde er wegen fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr angezeigt. Mit dem Fall befasst sich dann die Staatsanwaltschaft Stuttgart und gegebenenfalls ein Gericht, sollte die Anklagebehörde eine „strafrechtliche Relevanz erkennen“, wie deren Sprecher Heiner Römhild erklärt. Bei einer Verurteilung werde dieses Delikt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet. Das Gericht könne zudem einen längeren Entzug der Fahrerlaubnis anordnen.

Die Beschlagnahmung der Fahrerlaubnis kann zuvor schon die Führerscheinstelle im Landratsamt veranlassen, wenn eine „gerichtliche Anordnung vorliegt“, sagt Peter Keck, der Sprecher des Esslinger Landratsamts. Dafür würden die Maßstäbe bei einem Führerschein auf Probe freilich weit härter angelegt. Bei einem gravierenden Verstoß – dieser liegt in dem aktuellen Fall laut Experten vor – schreite das Gericht in der Regel schnell ein, wenn von der Staatsanwaltschaft der Einzug der Fahrerlaubnis beantragt werde.

Haftpflichtversicherung „schützt die Opfer“

Über die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers sind die verletzten Schüler garantiert finanziell abgesichert, erklärt Christian Weishuber, ein Pressesprecher der Allianz-Versicherung, auf Anfrage. Diese Versicherung sei dafür da, „um die Opfer zu schützen“. Der Unfallverursacher – wäre er bei der Allianz versichert – würde in diesem Fall nicht in Regress genommen, sagt Weishuber, „wir würden nichts von ihm zurückfordern“. Anders sähe es aus, hätte er den Unfall unter Alkohol- oder Drogeneinfluss verursacht. Dann läge eine sogenannte schwere Obliegenheit vor, für die der Versicherungsnehmer im Bereich der Haftpflichtversicherung bis zu maximal 5000 Euro von der Gesamtsumme für die Opfer zurückzahlen müsste. Doch dies läge in dem geschilderten Fall nicht vor. Das „erhebliche Verschulden“ des Verursachers würde nicht von der Versicherung, sondern vom Gesetz geahndet.

Wäre der junge Mann von einer Polizeistreife angehalten worden, weil er sein Auto nicht rundum vom Eis befreit hatte, wäre das weit glimpflicher für ihn ausgegangen. Denn wenn in der Folge dadurch kein Schaden entsteht, wird für diese Ordnungswidrigkeit laut Michael Schaal ein Bußgeld von lediglich zehn Euro fällig.

Schwerwiegende Straftaten

Todsünden
Die im Paragrafen 315 c, „Gefährdung des Straßenverkehrs“, aufgelisteten sogenannten sieben Todsünden im Straßenverkehr gehören zu den gemeingefährlichen Straftaten und werden als schwerwiegend eingestuft. Allerdings nur, wenn der Fahrer grob verkehrswidrig und rücksichtslos handelt.

Bestrafung
Wer sich einen der im Paragrafen 315 c aufgeführten Verstöße leistet, muss mit harten rechtlichen Konsequenzen rechnen. Wenn dadurch zudem Menschen oder laut dem Gesetzestext „fremde Sachen von bedeutendem Wert“ gefährdet werden, „wird das mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft“ heißt es dort.