Die Evakuierung der „Esso-Häuser“ auf der Hamburger Reeperbahn hat am Wochenende für Aufsehen gesorgt. Während die Mieter das Nötigste aus den Wohnungen holen dürfen, läuft die Suche nach dauerhaften Ersatzunterkünften.

Die Evakuierung der „Esso-Häuser“ auf der Hamburger Reeperbahn hat am Wochenende für Aufsehen gesorgt. Während die Mieter das Nötigste aus den Wohnungen holen dürfen, läuft die Suche nach dauerhaften Ersatzunterkünften.

 

Hamburg - Günter Szybalski und seine Nachbarin stehen zwischen ihren Koffern, Reisetaschen und Tüten auf der Hamburger Reeperbahn und sind verzweifelt. Vor drei Stunden haben sie erfahren, dass sie kein Zuhause mehr haben. Über acht beziehungsweise zehn Jahre haben sie in den sogenannten Esso-Häusern gewohnt - doch seit dem Wochenende steht fest: Die beiden Gebäude drohen einzustürzen. „Wir haben natürlich gehofft, dass es nicht so schlimm ist“, sagt der 56-Jährige. Seine Nachbarin weint.

Ein paar Meter weiter, hinter der glitzernden Kulisse des Weihnachtsmarktes bietet sich an diesem Sonntagabend eine gespenstische Atmosphäre. Ein Absperrband der Polizei flattert im Wind, die „Esso-Häuser“ liegen im Dunkeln - nur vereinzelt gehen Lichter an. In einem Zelt, in dem eigentlich für Weihnachtsmarktbesucher gestrippt wird, warten 70 bis 100 Bewohner darauf, in ihre Wohnungen zu dürfen. Einen nach dem anderen begleiten die Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks hinein. Zehn Minuten hatte Szybalski Zeit, das Nötigste zu packen.

Nur die Meerschweinchen gepackt

Karen Laatsch wartet bereits seit zwei Stunden darauf, in ihre Wohnung zu dürfen. „Ich werde versuchen, so viel wie möglich zusammenzuraffen“, sagt die 32-Jährige ruhig. Frische Kleidung, Kosmetik und Tiernahrung braucht sie auf jeden Fall. Als die Polizei in der Nacht bei ihr klopfte, packte sie nur Meerschweinchen Ginny und Moki sowie etwas Futter ein - alles andere ließ sie zurück. Ob sie noch einmal in ihre Wohnung kann, ist unklar.

Die Bewohner wissen seit langem, dass die Gebäude marode sind. Das ist offensichtlich: Die Balkone dürfen nicht betreten werden, im Juni 2014 hätten alle ausziehen müssen. Viele sind wütend, dass es so weit gekommen ist. „Da ist all die Jahre nichts gemacht worden“, sagt Norbert Moß, der seit acht Jahren Dauergast in dem Hotel in den „Esso-Häusern“ ist. Die nächtliche Evakuierung hat viele trotzdem überrascht: „Ich habe mich nicht gefürchtet, hier zu wohnen“, sagt Karen Laatsch. Vom Wackeln der Wände hat sie nichts gemerkt.

"Wir haben es ja geahnt"

Uwe Christiansen stand hinter dem Tresen seiner Bar, als die schlechte Nachricht kam. „Zuerst hatte ich Panik. Aber wir haben es ja geahnt. Das Gebäude fällt seit Jahren in sich zusammen“, sagt der 54-Jährige. „Ich habe immer gehofft, dass es nicht so weit kommt.“ Er trägt gerade seinen Computer zum Auto, die Kasse und das Bargeld konnte er noch in der Nacht sichern. Sorgen macht er sich vor allem um seine 13 Angestellten: „Die stehen jetzt auf der Straße.“

Christiansen war bereits dabei, sich nach einer neuen Location umzuschauen. Doch wie er haben die meisten Bewohner und Geschäftsleute noch keine Alternative gefunden. Das soll sich nun schnell ändern. „Aber wie soll in Hamburg in drei Tagen eine Wohnung für uns gefunden werden?“, fragt eine Bewohnerin. Marine Michel wollte eigentlich am Montag zu ihrer Familie nach Frankreich fahren, um Weihnachten mit ihr zu verbringen. „Das habe ich nun abgesagt - und keine Ahnung, wo ich an den Feiertagen bin.“

Während die einen ihr Zuhause verlieren, genießen die Weihnachtsmarktbesucher ein paar Meter weiter den Sonntagabend bei Glühwein und Bratwurst. Sie bekommen von der Verzweiflung der Hausbewohner, die sich neben ihnen abspielt, nichts mit. Das ändert sich erst, als am Abend mehr als 750 Menschen spontan zu einer Demonstration zusammenkommen und lautstark, aber friedlich, auf die Situation aufmerksam machen.