Nach dem Scheitern des Austrittsvertrags im britischen Unterhaus ist ein ungeordneter Brexit wahrscheinlicher geworden. In der EU herrscht Ratlosigkeit.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Am Tag nachdem der Austrittsvertrag Großbritanniens aus der EU im britischen Unterhaus durchgefallen und ein chaotischer Brexit am 29. März so wahrscheinlich wie noch nie geworden ist, hält die EU am bisherigen Fahrplan fest. Die beiden Co-Gesetzgeber, der Ministerrat sowie das Europaparlament, treiben die Ratifizierung des in 18 Monaten ausgehandelten Austrittsvertrages voran.

 

Gleichzeitig bleibt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk nichts anderes übrig als die Notfallplanungen für einen „ungeordneten Austritt“ ohne Abkommen zu intensivieren – auch wenn dies nicht das gewünschte Szenario ist. Der Brexit-Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, erklärte am Mittwoch im Europaparlament: „Es ist jetzt noch zu früh, um all die Konsequenzen der Entscheidung in London zu ermessen.“ Bei allen Reden, die in Straßburg gehalten wurde, kam tiefe Ratlosigkeit zum Ausdruck.

Ungewissheit über die Zukunft

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, sagte zwar: „Wir müssen in die Zukunft schauen.“ Doch niemand weiß, was der nächste Schritt Londons ist. „Wir warten, was passieren wird“, so Timmermans weiter.

Barnier und andere Redner in der Debatte machten aber deutlich, dass das Austrittsabkommen und die Absichtserklärung zu den künftigen Beziehungen nicht das letzte Wort Brüssels sein müssten. Sie seien vielmehr ein Kompromiss zwischen London und Brüssel, der sich an den roten Linien orientiert habe, die die britische Premierministerin für die Verhandlungen gezogen habe. Sollten die roten Linien von der britischen Regierung anders definiert werden, sei die EU jederzeit bereit, ihre Position zu verändern.

„Kein Raum für Manöver“

Manfred Weber (CSU), Spitzenkandidat der europäischen Christdemokarten für die Europawahl, sieht London am Zug: „Der Ball ist im Feld von Großbritanniens Parlament.“ Sämtliche 28 Regierungen der EU-Mitgliedstaaten haben den Vertrag gebilligt, lediglich das britische Unterhaus sage „Nein“. Nun müsse das Unterhaus Farbe bekennen, fordert Weber: „Bitte sagt uns, was ihr erreichen wollt.“

Weber und Barnier machen aber deutlich, dass die EU auch in der verfahrenen Lage eines drohenden chaotischen Austritts nicht zu großen Konzessionen bereit ist. Barnier sagt: Der Backstop, also die Rückversicherung, dass es zwischen Nordirland und Irland nicht zu einer harten Grenze kommt, „muss ein Backstop bleiben“. Und Weber sieht keinen „Raum für Manöver“. Weber beschwört noch einmal die EU der 27, sich jetzt nicht zu zerlegen: Als Europäer sei er stolz, dass der befürchtete Domino-Effekt nach dem Brexit-Referendum nicht eingetreten, sondern die Europäer in den Verhandlungen zusammen geblieben seien.

Eine Verschiebung des Austritts wird diskutiert

Hinter den Kulissen wird auch in Brüssel und Straßburg über eine Verschiebung des britischen Austrittstermins diskutiert. Offizielle Linie von EU-Verhandlungsführer Barnier ist, London jetzt nicht über den 29. März hinaus noch mehr Zeit einzuräumen. Es sei anderthalb Jahre und damit lange genug verhandelt worden. Eine neue Lage gebe es erst, wenn in London Neuwahlen oder ein neues Referendum beschlossen werden. Dann sei denkbar, das Brexitdatum um sechs bis acht Wochen zu verschieben. Einen größeren zeitlichen Spielraum erlauben die Europawahlen vom 23. bis 26. Mai nicht.

An der Wahl wird Großbritannien nicht mehr teilnehmen. Dies bedeutet auch: Wenn sich die neu gewählten Europaabgeordneten in der ersten Juli-Woche das erste Mal in Straßburg zur Sitzungswoche einfinden, muss Großbritannien die EU verlassen haben. Der Beauftragte des Europäischen Parlaments für den Brexit, Elmar Brok, macht deutlich, dass es keine Kompromisse geben kann: „Andernfalls würden britische Abgeordnete zwangsläufig mit darüber entscheiden dürfen, wen das Parlament als EU-Kommissionspräsident vorschlägt, um sich dann womöglich mit dem wenige Wochen später vollzogenen Brexit endgültig aus dem Staub zu machen. Das ginge nicht.“