Kaum ein EU-Mitglied hatte einen solch langen Verhandlungsmarathon vor dem Beitritt wie Kroatien. Kaum ein Neuling hat die EU aber auch mit weniger Begeisterung geentert wie nun der Küstenstaat. Warum die Zweifel?

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Zagreb - Es gibt bessere Momente für den Eintritt in eine neue Ära. Ein Land in der Krise entert einen Staatenbund in der Krise. Und nicht nur im erweiterungsmüden Westen der Alt-EU, sondern auch beim künftigen EU-Neuling Kroatien mehren sich die Zweifel: Strebt das gebeutelte Land nun endlich besseren oder noch härteren Zeiten entgegen?

 

Die tristen Wirtschaftsdaten mehren in der Europäischen Union die Furcht vor der Aufnahme eines neuen Problemkindes. Bereits seit fünf Jahren dümpelt Kroatien in der Rezession: Erst für das kommende Jahr wird wieder mit einem mageren Wirtschaftswachstum gerechnet. Im Gegensatz zur Erweiterungsrunde 2004 und dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens 2007 ist nun kaum mit großen Wanderungsbewegungen der krisenscheuen Investoren zu rechnen. Die meisten Unternehmen, die nach Kroatien kommen wollten, sind längst da – und nicht immer zufrieden.

Die Arbeitslosenrate ist mittlerweile auf 18,1 Prozent geklettert. Bei den unter 24-Jährigen hat sogar jeder zweite keine feste Stelle. Die Zahl der Werksschließungen hält an. Für gut auf den EU-Beitritt vorbereitete Großunternehmen wie den Einzelhandelsriesen Agrokor, den Pharmakonzern Pliva oder den Nahrungsmittelkonzern Atlantic wird der gemeinsame Markt neue Chancen bieten. Für kleinere Firmen oder defizitäre Staatsbetriebe könnte der Konkurrenzschock in der EU möglicherweise den Todesstoß bedeuten.

Märkte in unmittelbarer Nähe drohen verloren zu gehen

Mit dem EU-Beitritt können sich für Kroatiens schwach entwickelten Exportsektor zwar neue Märkte erschließen, gleichzeitig scheidet das Land aus der Cefta-Zollunion der EU-Anwärter aus – und drohen Märkte in unmittelbarer Nähe verloren zu gehen: Bisher gingen fast 40 Prozent der Ausfuhren in die Cefta-Staaten. Und nur die Großunternehmen haben sich mit der Gründung von Tochterfirmen und Betriebsverlagerungen das Recht auf die zollfreie Belieferung der Cefta-Märkte rechtzeitig gesichert.Mehr als 300 000 Arbeitsplätze in der Industrie sind seit dem Zerfall Jugoslawiens in dem Land verloren gegangen, das mit ähnlichen Strukturproblemen wie andere südeuropäische EU-Sorgenkinder zu kämpfen hat: einer anhaltenden De-Industrialisierung, großer Abhängigkeit von konjunkturabhängigen Sektoren wie der Bauindustrie und dem Tourismus, einem überproportional großen Dienstleistungssektor, mit Korruption und einer aufgeblähten Verwaltung.

Zum Zeitpunkt des Beitritts aber beträgt Kroatiens Sozialprodukt rund 61 Prozent des EU-Mittels – und liegt damit weit über dem der EU-Habenichtse Bulgarien und Rumänien. Selbst Polen wies beim Beitritt 2004 einen deutlich niedrigeren Wert auf. Wie lange Kroatien für die wirtschaftliche Aufholjagd benötigen wird, ist ungewiss. Wirtschaftsanalysten glauben, dass das Land die Vorzüge der Marktliberalisierung erst in fünf Jahren voll spüren.

Die verstärkte Konkurrenz könnte den Arbeitsmarkt belasten

Die Folgen der verstärkten Konkurrenz könnten sich jedoch sofort negativ auf den Arbeitsmarkt niederschlagen. Umgekehrt dürfte der EU-Beitritt aber durch eine verstärkte Abwanderung von Arbeitssuchenden zu etwas Entlastung führen: Zumindest die skandinavischen EU-Mitglieder werden ihre Arbeitsmärkte für Kroaten unmittelbar öffnen.

Halst sich die EU mit Kroatien ein zweites Griechenland auf? Vermutlich nicht. Zum einen tritt Kroatien nur der EU und nicht der Eurozone bei. Zum anderen ist der von Auslandsbanken kontrollierte Finanzsektor einigermaßen intakt. Die Staatsschuld von derzeit 56 Prozent hat sich in den vergangenen Jahren nahezu verdoppelt, liegt aber noch immer weit unter der Verschuldung der meisten Altmitglieder. Sorge bereiten jedoch das auf 4,5 Prozent gestiegene Defizit, das unterfinanzierte Rentensystem und das hochdefizitäre Gesundheitswesen. Milliarden Euro an Strukturbeihilfen stehen für Kroatien bereit. Ob der EU-Neuling den Großteil der Mittel auch abrufen kann, ist angesichts der schwerfälligen Verwaltung zu bezweifeln. Zudem hat Zagreb vor Beitritt kräftig in den Ausbau des Autobahnnetzes investiert. Neben dem Tourismus verfügt Kroatien vor allem im Logistiksektor über Potenzial: Rijeka könnte sich langfristig zu einem wichtigen Hafen für Mitteleuropa beim Containerumschlag entwickeln.

Erhebliche Fortschritte im Kampf gegen die Korruption

Unter anderem Brüssels schlechte Erfahrungen mit Rumänien und Bulgarien, die auch Jahre nach ihrem Beitritt noch immer Defizite beim Aufbau einer unabhängigen Justiz aufweisen, hatten Kroatien die langen und hart geführten Beitrittsverhandlungen beschert. Immerhin wurden im Zuge dessen beim Kampf gegen die Korruption erhebliche Fortschritte erzielt, auch wenn diese im Alltag noch immer verbreitet ist. Eine Reihe korrupter Manager und Ex-Politiker sitzt mittlerweile hinter Gittern: Kroatien war das erste Land der Region, das wegen des Verdachts der Selbstbereicherung mit Ivo Sanader sogar einen einstigen Premier verhaften ließ.

Wie das noch stets ein wenig im Kriegsjahrzehnt der 90er Jahre verhaftete Land die Öffnung mental verkraftet, wird sich weisen. Der nationalistische Freudentaumel nach dem Freispruch von Ex-General Ante Gotovina vor dem UN-Kriegsverbrecher-Tribunal Ende 2012 zeugt davon, dass der Nation die offene Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit erst bevorsteht.

Die verstärkten Kampagnen der Rechtsparteien und der Kirche gegen Sexualkunde-Unterricht und Homo-Ehe sind wiederum ein Zeichen dafür, dass der EU-Beitritt vor allem im nationalklerikalen Lager auch Ängste vor der Aufgabe der eigenen Werte und dem Verlust des eigenen Einflusses schürt. In Split ging kürzlich immerhin die jährliche Homo-Parade erstmals ohne gewalttätige Zwischenfälle über die Bühne. Der neue Bürgermeister ging selbst an der Spitze des Zuges. Auch in Kroatien beginnen sich die Dinge zu wandeln, allmählich.