Die genaue Summe, die aus Brüssel in die Kommunen an Rems und Murr fließt, lässt sich aber kaum exakt beziffern, sagt die Europabeauftragte des Landkreises, Christina Berghoff.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Waiblingen - Brüssel macht nur Ärger. Die Europäische Union erlässt eine unsinnige Verordnung nach der anderen und kostet zu viel Geld – das sind die gängigen Vorurteile, wenn über die EU gesprochen wird. Ende Mai wird das Europaparlament neu gewählt, im Vorfeld des Urnengangs dürfte es mal wieder hoch her gehen.

 

Was sagt die Europa-Beauftragte des Landkreises? Zunächst einmal erklärt Christina Berghoff, dass etwa 80 Prozent aller Aufgaben des Landkreises auch EU-Themen seien, „direkt oder indirekt“. Zum Beispiel, wenn es um Themen wie den Artenschutz oder die Landwirtschaft geht. Zudem, sagt sie, fließe ein ordentlicher Batzen Geld aus Brüssel in den Landkreis.

Leader-Förderung und Europäischer Sozialfonds

Um wie viel Geld handelt es sich denn, Frau Berghoff? Das, sagt die 31-jährige Geografin, lasse sich nicht exakt beziffern, leider. Sehr viele Stellen im Land und im Bund verteilten die EU-Gelder. Es sei schlicht unmöglich, genau zu sagen, welche Summen in die einzelnen Kommunen und Landkreise fließe. Berghoff kann allerdings einige dicke Posten auflisten. Zum Beispiel die Leader-Förderung für den ländlichen Raum. Von 2014 bis 2020 stünde im Landkreis rund eine Million Euro zur Verfügung. Das Geld sei entweder bewilligt oder bereits ausgezahlt, unter anderem für einen Bewegungsparcours im Stadtpark Welzheim, für den barrierefreien Umbau des Eingangsbereichs der Kleinkunstbühne Kabirinett in Spiegelberg-Großhöchberg sowie für die Modernisierung einer Arztpraxis in Murrhardt (siehe Text oben). Ziel dieses EU-Programms ist es, „Maßnahmen im ländlichen Raum zu fördern, die zur Stabilisierung der Lebensbedingungen in den Gemeinden beitragen“. Dabei könne es um Themen wie die Grundversorgung, die Bewahrung des kulturellen Erbes oder um die Mobilität gehen.

Aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) fließen laut der Auskunft Berghoffs von 2014 bis 2020 rund 3,3 Millionen Euro in den Landkreis. Die Gelder bekommen Einrichtungen, die sich beispielsweise um langzeitarbeitslose Menschen kümmern oder mit jungen Leuten arbeiten, die Schwierigkeiten in der Schule haben. Bezuschusst wird unter anderem das Projekt „Startklar“ der Diakonie Stetten und des Kreisdiakonieverbands, das für Menschen konzipiert ist, die auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar sind und zugleich psychische und/oder Suchterkrankungen haben. Auch die TTG Team Training GmbH, die das Projekt „Sprungbrett – Teilzeitausbildung“ anbietet, bekommt ESF-Gelder. Ebenso das Projekt „Dame 2.0“, das zugewanderte Frauen unterstützt, das Projekt „Lern digital“ der Neuen Arbeit gGmbH sowie das Projekt „Chancen nutzen – Erreichen-Begleiten-Integrieren“ vom Kreisjungendring, vom Kreisdiakonieverband und von der Erlacher Höhe.

„Verständnis für das wichtige Projekt Europa wecken“

Das Erasmus-Programm der EU fördert zurzeit unter anderem das Projekt Emor an der Gewerblichen Schule Backnang. Emor steht für Electro Mobility on the Road und soll die Azubis für das Thema E-Mobilität begeistern. Beim Start des Projekts Ende 2017 hatten viele Redner erklärt, dass die im Rahmen des Erasmus-Programms geförderten Einzelprojekte immer auch das Ziel hätten, bei den jungen Leuten Interesse und Verständnis „für das wichtige Projekt Europa zu wecken“. Die Schule bekommt für Emor knapp 50 000 Euro. Die Kaufmännische Schule Backnang wird im Rahmen des Erasmus-Programms und zusammen mit Schulen in Madrid (Spanien), Rom (Italien) und Wejherowo (Polen) gefördert. Die Partnerschulen bekommen insgesamt knapp 90 000 Euro. Ziel des Projekts sei es, dass die Schüler aus den vier Ländern andere Kulturen kennenlernen sowie ihre Fremdsprachenkenntnisse und Medienkompetenz verbessern. Zudem sollen sich die Jugendlichen persönlich und beruflich weiterentwickeln und ihre Chancen auf dem europäischen Arbeitsmarkt steigern. Die Schüler sollen zunächst die Möglichkeit haben, ein Praktikum im Ausland zu machen.

Auch die Kompetenzzentren im Rems-Murr-Kreis werde beziehungsweise wurden mit EU-Geldern gefördert. Das Virtual Dimension Center in Fellbach (VDC) zum Beispiel hat für ein Kooperationsprojekt mit einer ähnlichen Einrichtung in Schweden 114 000 Euro erhalten.

Direktzahlungen an die Landwirte

An die Landwirte an Rems und Murr seien 2018 rund 8,5 Millionen Euro aus EU-Mitteln geflossen, erklärt die Europabeauftragte, die im Landratsamt in Waiblingen auch für die Wirtschaftsförderung zuständig ist. Die Förderung der Europäischen Union an die Landwirtschaft, sagt sie, bestehe aus zwei Säulen.

Säule eins seien die Direktzahlungen, „ein Kernelement der EU-Agrarförderung“, so das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Mit diesem Instrument würden die Einkommens- und Risikoabsicherung landwirtschaftlicher Betriebe in Form einer von der Produktion unabhängigen Zahlung unterstützt. Die Auswirkungen der zum Teil erheblichen Schwankungen der Agrarpreise würden auf diese Weise „abgefedert“. Die Direktzahlungen würden auch deshalb bezahlt, weil die Bauern „pauschal gesellschaftliche Leistungen“ erbringen, die nicht über den Markt finanziert werden. Sie dienten als finanzieller Ausgleich für hohe Standards, denn die Landwirte in Deutschland und der EU wirtschafteten unter weit höheren Umweltschutz-, Tierschutz- und Verbraucherschutzstandards als Landwirte in manchen Nicht-EU-Staaten, so das Ministerium.

Durch ihre Arbeit pflegten Landwirte wertvolle Kulturlandschaften und natürliche Ressourcen, erhöhten als Arbeitgeber die Attraktivität und Besiedelung ländlicher Räume und erzeugten nachwachsende Rohstoffe für andere Wirtschaftsbereiche. Diese Zuwendungen aus der Säule eins, so Berghoff, summierten sich pro Jahr auf rund sieben Millionen Euro im Landkreis.

Die Förderprogramme der Säule zwei werden von der Europäischen Union und von den Bundesländern finanziert, diese Programme hätten das Ziel, die „ländliche Entwicklung“ zu unterstützen. Baden-Württemberg lege den Schwerpunkt auf das „Förderprogramm für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl“, kurz Fakt. Pro Jahr würden im Rems-Murr-Kreis rund drei Millionen Euro ausgezahlt, die Hälfte davon seinen EU-Gelder.

Nach der Ausbildung erstmal ins Ausland

Neues Programm
Azubi-Abroad heißt ein Programm des Landratsamts, das kürzlich begonnen hat und das Auszubildende der Kreisverwaltung dabei unterstützen soll, nach ihrem Abschluss zunächst mal Auslandserfahrung zu sammeln – auch, aber nicht ausschließlich in EU-Ländern. Die Azubis bekommen nach ihrem Abschluss eine einjährige Übernahmegarantie auch für den Fall, dass sie nicht sofort im Landratsamt durchstarten wollen. Der Beginn der Übernahme nach der Ausbildung kann um bis zu ein Jahr verschoben werden. Der Landrat Richard Sigel sagt, die Kreisverwaltung könne mit Hilfe dieses Programms engagierte junge Leute fördern und halten.

Leader-Förderung
Wer ein Projekt für die Leader-Förderung anmelden will, der kann das Anfang des zweiten Quartals 2019 tun. Laut einer Auskunft der Leader-Geschäftsstelle ist der nächste Projektaufruf für April geplant.