Die 27 EU-Staaten wollen im Juli einen neuen Anlauf für ihren Finanzplan bis 2027 unternehmen. Am Freitag bahnte sich ein Streit um den Wiederaufbaufonds an – aber ein anderer Konflikt scheint ausgeräumt.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Die Verhandlungen gehen erst Mitte Juli so richtig los. Der erste europäische Gipfel nach den Vorschlägen für den mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) für die sieben Nach-Corona-Jahre sowie für den Wiederaufbau-Fonds diente zunächst einmal noch der Klärung von Sachfragen. Die 27 Staats- und Regierungschefs kamen am Freitag noch einmal im Video-Format zusammen. Niemand hatte mit einem Durchbruch und einer Einigung auf das 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket gerechnet. Von vornherein war klar, dass es keine förmlichen Beschlüsse, also kein Gipfeldokument, geben würde.

 

Kanzlerin Merkel spricht von großen Brücken, die noch zu bauen seien

Nur viereinhalb Stunden dauerte die Video-Schalte. Das Ergebnis fasste Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nüchtern zusammen: „Die Brücken, die wir noch zu bauen haben, sind groß.“ Der ständige EU-Ratspräsident Charles Michel, sagte: „Es entsteht Konsens, wir dürfen aber nicht die Schwierigkeiten unterschätzen.“ Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die den deutsch-französischen Vorschlag von Zuschüssen für den Wiederaufbau in Höhe von 500 Milliarden Euro aufgegriffen und um Kredite in Höhe von 250 Milliarden Euro aufgestockt hatte, mahnte zur Eile: „Es ist wichtig, keine Zeit zu verlieren. Wir müssen unsere wirtschaftliche Erholung auf einem festen Fundament aufsetzen.“ Sie nannte die erste Diskussion „sehr positiv“. Die Staats- und Regierungschefs seien einhellig der Meinung, dass wegen des Ausmaßes der Krise nur eine ehrgeizige Antwort zu rechtfertigen sei.

Mitte Juli soll es weitergehen mit dem ersten Gipfel, zu dem alle Staats- und Regierungschefs wieder persönlich nach Brüssel reisen. Bis dahin soll Michel, der die Verhandlungen moderiert, eine so genannte Verhandlungsbox präsentieren. In der Box sind die Streitpunkte, die die Sherpas bis dahin nicht aus dem Weg räumen konnten. Da müssen dann die „Chefs“ ran, wie es im Brüsseler Jargon heißt. Eine Einigung auf ein Finanzpaket, das den Umfang von sechs bis sieben Bundeshaushalten hat, passt nicht in ein Videoformat, geht es doch um die Beantwortung vieler Fragen, etwa nach den Beitragsrabatten, den Bedingungen für die Auszahlung der Gelder sowie der Mischung aus Krediten und Zuschüssen.

Streit bahnt sich an um den Wiederaufbaufonds

Dafür sind mindestens ein oder zwei Gipfel nötig mit der entsprechenden Choreografie, also Einzelgesprächen bis spät in die Nacht im Beichtstuhlverfahren, Unterbrechungen und Verhandlungen im kleinen Kreis. Viel Zeit hat man nicht. Da die Beschlüsse noch von allen nationalen Parlamenten bestätigt werden müssen und der MFR im Januar starten soll, muss es noch im Sommer grünes Licht geben.

Merkel, die bei ihrem ersten EU-Gipfel im Jahr 2005 mit kniffligen Verhandlungen um den EU-Haushalt gestartet war, glaubt nicht, dass die Gelder aus dem Wiederaufbaufonds vor Januar ausgezahlt werden können. Streit deutet sich an bei den Kriterien für die Zuteilung der Gelder aus dem Wiederaufbaufonds. Die Kommission hatte vorgeschlagen, dass eine große Rolle die Arbeitslosenzahlen der letzten fünf Jahre spielen sollten. Viele Staats- und Regierungschefs forderten Kriterien mit einem engeren Bezug zur Pandemie und ihren Folgen. Von der Leyen wirbt um Verständnis: „Unsere Untersuchungen ergeben, dass Länder mit hoher Arbeitslosigkeit in den letzten fünf Jahren besonders anfällig sind für die wirtschaftlichen Schocks der Pandemie.“

Ein Streit scheint sich immerhin zu entschärfen. Vier Länder – Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden – hatten zunächst Ablehnung signalisiert. Statt als Zuschuss müssten EU-Hilfen auf Kredit-Basis fließen. Der Wortführer der Gruppe der „Sparsamen Vier“, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, ließ wissen: Er lehne Zuschüsse nicht grundsätzlich ab. Ein EU-Diplomat: „Die sparsamen Vier haben stets zum Ausdruck gebracht, dass sie sich der schweren Lage, in der sich viele EU-Länder befinden, bewusst sind.“ Ein Kompromiss sollte möglich sein.