Die Bundesregierung lässt sich im Streit um das neue Kältemittel R1234yf von der EU-Kommission nicht beeindrucken – obwohl ein Prozess droht. Der Verkehrsminister Alexander Dobrindt stellt sich hinter den Autobauer Daimler.

Stuttgart - Im Streit um das Autokältemittel R1234yf erhöht Brüssel den Druck auf Deutschland. Die EU-Kommission leitete am Donnerstag die nächste Stufe eines Verfahrens wegen Verletzung der EU-Verträge ein. Der Autobauer Daimler hält das Kältemittel für feuergefährlich und verwendet deshalb weiterhin einen Vorläufer. Dieses Mittel mit der technischen Bezeichnung R134a darf noch bis Ende 2016 weiterverwendet werden, sofern die Fahrzeuge eine dann noch gültige Typ-Genehmigung haben. Für andere Wagen darf das klimaschädlichere alte Kältemittel seit Anfang 2013 nicht mehr verwendet werden.

 

Das Brüsseler Verfahren richtet sich gegen die Bundesregierung, nicht gegen Daimler. Denn das Kraftfahrtbundesamt hat Mercedes-Modellen der A-, B- und SL -Klasse mit dem klimaschädlicheren Mittel die Zulassung für den Straßenverkehr erteilt, nachdem die Autos ursprünglich mit dem neuen Mittel eingeführt werden sollten. Die Kommission gibt sich hart. Deutschland, so heißt es, habe gegen die EU-Richtlinie zu Fahrzeugklimaanlagen verstoßen. So sei Daimler von Januar bis Juni 2013 erlaubt worden, Fahrzeuge auf den Markt zu bringen, die nicht der Richtlinie entsprachen. Zudem hätten die deutschen Behörden dem Hersteller erlaubt, ältere Typgenehmigungen auf die betreffenden Fahrzeuge zu erweitern. Aus Sicht der Kommission haben die deutschen Behörden dadurch die Richtlinie über mobile Klimaanlagen umgangen, was sie wirkungslos macht.

Kommission pocht auf EU-Recht

Eigene Tests von Daimler hatten ergeben, dass die neue Chemikalie bei einem Unfall einen Brand im Motorraum auslösen und gefährliche Säure freisetzen kann. Bei späteren Versuchen des Kraftfahrtbundesamts kam es auch zum Brand – allerdings nur unter extremen Bedingungen. Unterstützt wird Daimler im Kampf gegen das Kältemittel R1234yf auch von Umweltorganisationen wie Greenpeace und Deutsche Umwelthilfe (DUH).

Die EU-Kommission hält die Sicherheitsbedenken nach eigenen Tests für unbegründet und pocht auf die Einhaltung europäischen Rechts. Berlin hat nun zwei Monate Zeit zum Richtungswechsel. Danach könnte die EU-Kommission entscheiden, Deutschland vor den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu bringen. Im Januar hatte Brüssel das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Solche Verfahren dauern mehrere Monate. Nun hat die Kommission den nächsten Schritt gemacht. Der Zeitpunkt des Beschlusses ist nach Einschätzung von Beobachtern kein Zufall. Im November soll eine neue EU-Kommission ihr Amt antreten. Diplomaten vermuten, die amtierende Kommission wolle den Kurs in der Auseinandersetzung vorgeben.

Verkehrsminister Dobrindt verteidigt Daimler

Ein EU-Diplomat erklärte: „Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass das Vertragsverletzungsverfahren unbegründet ist.“ Er fügte hinzu: „Sie wird weiter den Dialog mit der Kommission suchen, um sie von ihrer Rechtsauffassung zu überzeugen.“ Verkehrsminister Alexander Dobrindt verteidigte Daimler: „Bei Tests haben sich durch den Einsatz des neuen Kältemittels Sicherheitsrisiken ergeben. Es ist nachvollziehbar, dass dieses neue Mittel deswegen aktuell nicht zum Einsatz kommt“, sagte er. Ab 2017 würden in Europa strengere Vorschriften für Klimaanlagen gelten. „Die deutsche Automobilindustrie wird diese auch erfüllen“, betonte Dobrindt. Das habe man der EU-Kommission auch umfassend erläutert. Der SPD-Europaabgeordnete Matthias Groote bezeichnete das erlaubte Kältemittel R1234yf aufgrund der Sicherheitsbedenken als „fragwürdigen Ersatz“ des Vorläufers.

Daimler sieht nach wie vor das Recht auf seiner Seite. „Wir haben für unsere Fahrzeuge eine europaweit gültige Typgenehmigung“, betonte ein Sprecher. Die Stuttgarter arbeiten zudem mit Hochdruck an CO2-Klimaanlagen, die als ungefährlich sowie klimafreundlich gelten und deshalb nicht nur von Daimler, sondern auch von VW und BMW, als Kältemittel der Zukunft bevorzugt werden; die Bayern setzen lediglich in ihrem Elektroauto i3 R1234yf ein. Nach Angaben eines Daimler-Sprechers sollen die CO2-Anlagen 2016 serienreif sein. Prototypen werden nach seinen Angaben bereits in A-, B- und S-Klasse und auf Prüfständen getestet. R1234yf hat sich in Deutschland bisher nicht durchgesetzt.