Laut Eurobarometer-Umfrage halten nur 31 Prozent der Kroaten die EU-Mitgliedschaft für eine „gute Sache“: Zwei Drittel der Menschen dort blicken ihr mit eher skeptischen oder gemischten Gefühlen entgegen.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Zagreb - Von Einschusslöchern zersiebte Fassaden und aus leeren Fensterhöhlen sprießende Sträucher: die Folgen des Kriegs sind auf dem verödeten Werksgelände des Schuhproduzenten Borovo nördlich von Vukovar unübersehbar. Vor dem Kroatienkrieg sei das Kombinat mit 23 000 Mitarbeitern einer der größten Unternehmen im damaligen Jugoslawien gewesen, berichtet Direktor Hrvoje Merki. Heute beschäftigt der Staatsbetrieb noch 993 Mitarbeiter und hat Schulden.

 

In Europa würden leider kaum mehr Schuhe produziert, sagt der 38-jährige Betriebschef. Die großen europäischen Ketten, deren Konkurrenz Borovo schon jetzt verspüre, würden fast nur Schuhwerk aus Fernost feilbieten. Trotz der Erwartung verstärkten Konkurrenzdrucks nach dem EU-Beitritt blicke er diesem „keineswegs pessimistisch“ entgegen. Für Borovo werde es immer einen Platz auf dem Markt geben, sagt Merki: „Unsere Kunden sind treu und bereit, etwas mehr für in Kroatien gefertigte Qualitätsschuhe zu bezahlen.“

Der EU-Optimismus des Fabrikdirektors in Kroatiens „Heldenstadt“ unweit der Grenze zu Serbien wird vom Großteil seiner Landsleute nicht geteilt. Laut Eurobarometer-Umfrage halten nur 31 Prozent der Kroaten die EU-Mitgliedschaft für eine „gute Sache“: Zwei Drittel blicken ihr mit eher skeptischen oder gemischten Gefühlen entgegen. Beim Referendum Anfang 2012 stimmten zwar zwei Drittel für den Beitritt, aber nicht einmal jeder Zweite ging wählen. Noch geringer war das Interesse an Kroatiens ersten Europawahlen im April: 20,8 Prozent Wahlbeteiligung.

Kroaten müssen Schicksal in eigene Hände nehmen

Mit stählernem Händedruck begrüßt Kroatiens bekannteste EU-Kritikerin im Café des „Sabor“, dem heimischen Parlament, in der Zagreber Oberstadt ihre Gäste. Beim EU-Referendum 2012 hatte die frühere Polizistin Ruza Tomasic, Abgeordnete der rechten Splitterpartei HSP-AP, gegen den Beitritt gestimmt. Ein Jahr später wurde die rechte Politikerin mit der landesweit zweithöchsten Stimmenzahl zu einer der zwölf künftigen Europaparlamentarier des Landes gewählt. Sie sei keine EU-Skeptikerin, sondern „EU-Realist“, versichert die blonde Volksvertreterin: „Wir sind für die EU nicht bereit, denn wir treten nicht gleichberechtigt, sondern als Bittsteller bei.“ Kroatiens Exporte deckten nicht einmal die Hälfte der Einfuhren, das Heer der Arbeitslosen habe sich auf fast 400 000 vergrößert, und die Wirtschaft liege am Boden, erläutert die 55-Jährige ihre Sicht.

Für die Nutzung der Milliarden an „theoretisch“ bereitstehenden EU-Strukturbeihilfen sei die Verwaltung des Landes „viel zu bürokratisch“. Kroatien sei „immer von jemand anderem“ regiert worden, „und nun erwarten wir erneut, dass uns jemand erzählt, was wir tun sollen“, klagt sie: „Nach dem 1. Juli werden wir sehen, dass unser Lebensstandard nicht von der EU abhängt, sondern von uns. Die Kroaten sind fleißig. Wir müssen das Schicksal in die eigenen Hände nehmen.“

Im 35 Kilometer entfernten Dorf Brckovljani geht die Näherin Visnja aus Protest auf die Straße. Seit vier Monaten hätten die 100 Mitarbeiter der nun für bankrott erklärten Textilfirma DTR ihre Gehälter von 300 Euro nicht mehr ausbezahlt bekommen, berichtet sie: „Laut Gesetz haben wir darauf Anspruch, aber da schert sich niemand darum.“ Hoffnung auf bessere Zeiten durch den EU-Beitritt hegt Visnja nicht. Die Regierung verkünde zwar, dass nun die Investoren kommen und Arbeitsplätze schaffen würden: „Aber ich bezweifle das. Überall ist Krise und sind die kleinen Leute die Verlierer: Die Arbeitslosigkeit ist hoch – und die Firmen machen in ganz Europa mit den Leuten, was sie wollen.“