Von 1. Januar an gilt das neue Umsatzsteuergesetz. Schon jetzt beschäftigt ein Paragraf die Rathäuser im Land, weil sie prüfen müssen, für welche Bereiche sie künftig die Steuer abführen müssen oder nicht. Auch für Schulen kann das womöglich ein Thema werden.

Wenn Winfried Kretschmann über Bürokratie redet, kommt der Ministerpräsident gerne in Fahrt. Beispiele für die deutsche Regulierungswut findet er zuhauf. Aber auch die Europäische Union dient ihm mitunter als Negativmuster. Die Neuregelung des Umsatzsteuergesetzes aufgrund von EU-Vorgaben etwa sei ein „absoluter Ausfluss von Überbürokratisierung“, so der Grünen-Politiker. „Wir können nur überlegen, sie abzufedern und zu mildern.“

 

Der neue Paragraf 2 b des Umsatzsteuergesetzes beschäftigt nämlich gerade landesweit sämtliche Rathäuser. Denn vom 1. Januar 2023 an müssen auch Körperschaften des öffentlichen Rechts wie etwa Kommunen unter Umständen Umsatzsteuer für Leistungen bezahlen, die kein exklusives Verwaltungshandeln darstellen, sondern potenziell auch von einem privaten Anbieter hätten erbracht werden können.

Das Land will eine „praktikable, bürokratiearme, rechtssichere“ Regelung

Damit unterliegen nicht mehr nur die kommunalen Stadtwerke der Umsatzsteuer. Unter Umständen wird die künftig fällig, wenn der Bauhof den Friedhof pflegt, was ein Gärtner übernehmen könnte, oder die Feuerwehr eine Straße von einem umgestürzten Baum befreit. Diese Arbeiten könnten ja auch von privaten Betrieben erledigt werden.

Zwar gibt es eine Umsatzschwelle von 17 500 Euro, unterhalb der keine Steuer anfällt. Die gilt aber nicht für Einrichtungen des Landes. Deshalb sind auch Schulen und Kitas mit ihren Kuchenverkäufen und Schülerfirmen betroffen, weil das Land der zuständige Bildungsträger ist. Die Kernfrage laute darum, ob die Tätigkeit zum Bildungsauftrag gehört oder nicht, erklärt eine Sprecherin des Innenministeriums.

„Bei einem Kuchenverkauf an Schulen dürfte es maßgeblich davon abhängen, über wen der Kuchen verkauft wird“, erklärt ein Sprecher des Kultusministeriums. Sei formal die Schule der Veranstalter, dann könne gegebenenfalls Umsatzsteuer fällig werden. Werde der Verkauf aber über einen Förderverein angeboten, wäre das hingegen kein Problem, ergo nicht umsatzsteuerpflichtig. „Kuchenverkäufe werden also auch weiterhin möglich sein ohne Besteuerung“ so der Sprecher weiter. Wenn aber Schüler im Rahmen einer Projektwoche Kunstobjekte gestalten, sei dies Teil des Bildungsauftrags. Würden die Werke im Anschluss verkauft, könne Umsatzsteuer anfallen. Das Land erarbeitet im Augenblick eine Richtlinie für den Umgang mit der komplexen Rechtslage, die den Schulen und Kindertageseinrichtungen Klarheit bringen und die „praktikabel, bürokratiearm und rechtssicher“ sein soll.

Das Gesetz soll Wettbewerbsverzerrungen verhindern

Die Novellierung des Gesetzes wurde notwendig wegen der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, die Wettbewerbsverzerrungen verhindern soll. Um dieser Richtlinie zu entsprechen, ist das deutsche Umsatzsteuergesetz vor fünf Jahren geändert worden. Schon 2021 hätte die neue Vorschrift in Kraft treten sollen. Wegen Corona hat man das aber um zwei Jahre nach hinten verschoben.

Jäger: Das bringt massive Erschwernisse

Ab Januar aber „ist das Recht da“, sagt ein Sprecher des baden-württembergischen Gemeindetags – und führt dazu, dass landauf, landab alle Rathäuser ihre Abläufe durchgehen, „von der Geburtsurkunde bis zur Sterbeurkunde“. Das führe zu „massiven Erschwernissen in der öffentlichen Leistungserbringung“, warnt Steffen Jäger, der Präsident des baden-württembergischen Gemeindetags.

„Vielfältige steuerliche Auswirkungen auf Kitas und Schulen, Bauhöfe, Hallen- und Freibäder und vieles mehr müssen intensiv geprüft werden“, klagt Jäger. Das bedeute Bürokratie pur, „und das nur, damit die eine staatliche Ebene der anderen staatlichen Ebene mehr Steuern bezahlen darf“.

Kretschmann kämpft

Bürokratieabbau
 Ministerpräsident Winfried Kretschmann will die Regelungswut eindämmen. „Der Kampf gegen Bürokratie wird mit 100-prozentiger Sicherheit zu den Schwerpunkten meiner Amtszeit gehören“, versprach er am Mittwoch. Die Bürokratie wachse in jedem Jahrzehnt nicht unerheblich. Besonders Genehmigungen und Entwicklungen würden so verzögert. Kretschmann warnte: „China ist sehr schnell, das bringt uns unter Druck. Die Welt wartet nicht mehr auf Deutschland. Wir müssen schneller werden, sonst werden wir ins Hintertreffen geraten.“

Föderalismusreform
 Baden-Württembergs Regierungschef hält eine dritte Föderalismusreform zum Bürokratieabbau für notwendig. Er bedauert, dass dies im Koalitionsvertrag der Berliner Ampelkoalition nicht vorgesehen sei. Kretschmann plädiert für eine klarere Trennung der Ebenen. Der Bund fasse Beschlüsse und interessiere sich für deren Umsetzung „nicht die Bohne“, das müssten die Länder machen, kritisierte er und nannte das Energiegeld als Beispiel. Das werde 800 Finanzbeamte ein Jahr beschäftigen, mit dem Ergebnis, dass die Baden-Württemberger ihre Steuerbescheide mit Verzögerung bekämen. Kretschmann will jetzt Formate überlegen, wie man dem „Überbürokratismus“ beikommen kann.

Bürgerbeteiligung
Die Bürgerbeteiligung behindert die Verfahren nach Kretschmanns Auffassung nicht, vernünftig gestaltet, beschleunige sie sie vielmehr. Den größten Druck zur Entbürokratisierung sieht er bei der Energiewende. Die Bürger mögen sich über die Vorgaben ärgern, der Ministerpräsident sagt: „Am meisten leiden unter der Bürokratie Verwaltung und Regierung.“