Er vertickt Heuwender und Ami-Schuhe, kauft alte Panzer und Jagdflieger, fährt Bergrennen und steigt ins Pflegebusiness ein. In seinem Museum stehen goldene Schreine neben Kohle-Bügeleisen. Die Abenteuerwelt des Eugen Kiemele.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Seifertshofen - Ein blauer Herbstmorgen auf der Ostalb, draußen pfeift der Wind um den Eiffelturm. Am Straßenrand in Seifertshofen steht ein haushoher Nachbau des Pariser Wahrzeichens. Draußen im Hof fährt jemand die Panzer warm, die man vor ein paar Wochen in der alten Kaserne in Bamberg geholt hat.

 

Dann kommt Kiemele um die Ecke. Er hat sich ein Sakko übergezogen: „So sieht’s nach was aus, gell?“ Im Hintergrund eine 140-Tonnen-Lok, Baujahr 55, 1625 PS. 70 alte Traktoren, die meisten von Lanz. Der Ottomeyer-Dampfpflug daneben wiegt 30 Tonnen. Nur Ledige durften ihn fahren, damals vor 100 Jahren. Die Arbeit war lebensgefährlich.

Eugen Kiemele zupft sich das Sakko zurecht. Die Jacke ist groß wie ein Zelt, und alles andere könnte dieser gewaltige Mann von bald 80 Jahren auch nicht tragen. Es wäre zu pimpfig.

Eugen Kiemele Foto: A. Reiner
„Gehsch zum Kiemele“, hieß es früher von Gmünd bis Göppingen und Hall. Da kriegte man alles. Der erste Baumarkt der Welt, ein imposantes Museum heute, das Reich von Eugen Kiemele. Wo einst sein elterliches Bauernhaus stand, hat er errichtet, was noch Generationen nach ihm besichtigen sollen. 90 000 Exponate liegen auf einem 12 000 Quadratmeter großen Grundstück im Schwäbischen Bauern- und Technikmuseum in dem winzigen Ort Seifertshofen nördlich von Schwäbisch Gmünd auf der Frickenhofer Höhe. Bauer Eugen Kiemele macht keine halben Sachen. Sonst wäre aus ihm nicht das geworden, was er heute ist: ein Multimillionär, erfolgreicher Rennfahrer und verrückter Sammler.

Von Museumspädagogik hat man hier hinten auf der Ostalb noch nichts gehört, für so etwas gibt es keine Zeit. Da liegt eine Baseball-Cap vom VfB auf einer sakralen Figur aus Osteuropa. Auch ein interessanter Ansatz. Nebenan präsentiert sich das komplette Inventar einer Schuhmacher-Werkstatt aus dem beginnenden 20. Jahrhundert. Und dann 130 Kohle-Bügeleisen, 300 Grammofone, alte Schlitten, Hochräder, Musikinstrumente der vergangenen 150 Jahre, Fotogeräte, der vergoldete Schrein eines indischen Maharadschas, Puppen, Waffen, Hausrat, Spielzeug, die erste Straßenkehrmaschine der Welt (sie fuhr auf dem Montmartre in Paris), ein altes Feuerwehrauto mit Hartgummireifen, ein BMW Dixi, Baujahr 1928, eine Retro-Straßenbahn aus Stuttgart, Panzer, Flugzeuge, Helikopter und die Lanz-Bulldogs.

Spross einer soliden Bauernfamilie

Wer ist dieser Bauer von der Ostalb, den alle im Umkreis von 50 Kilometer kennen, den manche verrückt nennen und viele heimlich beneiden?

Für Eugen Kiemele hat das Leben eng und klein angefangen. Er wächst als zweiter Sohn einer soliden Bauernfamilie in Seifertshofen auf. Das Leben ist hart. Die gute Stube nutzt man nur über Weihnachten, sonst begegnet sich die Familie in der Küche und im Stall. Mit 19 fährt der junge Eugen in einem Anflug von Fernweh zu einer Auktion nach Stuttgart. Er ersteigert ein altes Grammofon, das ein anderer auch unbedingt haben will. Der Fremde bietet Eugen Kiemele nach der Auktion glatt das Doppelte, und der schlaue Bauer stellt fasziniert fest: Es gibt also noch etwas anderes als Kühe und Milch, mit dem man Geld verdienen kann.

Gut für Kiemele, denn zum Landleben fühlt er sich nicht berufen. Es ist Nachkriegszeit, und es geht aufwärts – soll man da im Stall versauern, während die jungen Leute in Amerika Rock ’n’ Roll tanzen? Kiemele will Rennfahrer werden, um die Welt reisen. Der große Bruder soll den Hof erben. Doch der kauft sich ein Motorrad, fliegt im Kochertal aus der Kurve und stirbt. Eugen Kiemele wird über Nacht zum Erbe eines Familienunternehmens.

Der neugierige Junge schafft im Stall und auf dem Feld. Aber er ist nicht wie viele andere. Er ist keiner, der sich einfach fügt und mitmacht, der mit Scheuklappen wie die alten Gäule auf einem vorgezeichneten Weg trabt. Eugen Kiemele lässt sich vor keinen Karren spannen. Er hat einen scharfen Blick und eine schnelle Auffassungsgabe. Ihm fällt auf, die Bauern brauchen Heuwender und Kartoffelroder, es fehlt an allem nach dem Krieg. Und Kiemele fragt herum, findet die Geräte hier und da, knüpft Beziehungen und beginnt, mit den Geräten zu handeln. Er kommt in Kontakt mit den Amerikanern. In ihren Depots in Ludwigsburg, Nürnberg und Mannheim gibt es alles, was das Herz der Leute auf dem Land begehrt, und „die Amis schmeißat doch sowieso alles naus, obwohl’s no wie neu isch“! Das kann Kiemele nicht verstehen.

6000 Schuhe von den Amis

Er kauft 6000 Paar Schuhe bei den Amerikanern. Am einen Tag holt er die linken, am anderen die rechten. Die Bauern kommen und setzen sich im Hof auf ein Bänkle, probieren die Treter an. Es gibt sogar Gummischuhe, die man drüberziehen kann, da wird man im Stall nicht dreckig.

Oder Kiemele kauft ein paar Lastwagen voll Schneeketten. Sie passen nicht für die großen Schlepper der Bauern, aber sind leicht umzubauen. Jetzt kommt Amalie ins Spiel, Kiemeles Frau.

Und da hat er Glück gehabt, Kerle, was für ein Glück! Denn zu jedem Leben braucht es eine gute Frau, und der Kiemele hat den Sechser im Lotto gezogen, sagt man in Seifertshofen. Amalie stammt aus einem Weiler zwischen Welzheim und Gschwend. Natürlich hat sie von nix eine Ahnung gehabt, sagt ihr Mann heute und bleibt dabei ganz ernst. Von daheim kennt die junge Amalie nur den Wald. „Aber die hot sich schnell g’ändert!“ Sie setzt all das um, was Eugen Kiemele sich ausmalt. Alles, was er ranschafft, muss Amalie verwerten und zu Geld machen, und wenn es nun Hunderte Schneeketten sind, die man umbauen und dann verkaufen muss – die Frau weiß, wie man die Sache anpackt.

Auch die 5000 Armee-Armbanduhren aus Holland kann sie den Bauern auf der Alb andrehen. „Uhren-Ersatzteile“ nennt Eugen Kiemele diese abenteuerliche Anschaffung, als er die Uhren über die Grenze schafft – der Legalität halber. Und irgendwie stimmt das auch, viele sind wohl kaputt. Dass man sie nur antippen muss, damit sie wieder gehen, das weiß doch jeder. Von da an tragen die Leute auf der Ostalb schicke Uhren an ihren Handgelenken, für fünf Mark das Stück.

Der erste Panzer

Kiemele macht Geschäfte aller Art, da ist er nicht zimperlich. In Rochefort in Belgien holt er 30 Kanonen und in Holland in einem Bunker 20 Lastwagen voll mit Funkgeräten, in Frankreich später 2000 Maschinenpistolen und 6000 Gewehre. Die Amerikaner haben unentwegt ein Auge auf ihn, die Gewehre muss er zersägen, aber dadurch sind sie nicht weniger wert für die Waffenhändler zu Hause.

Der Kiemele erledigt dann auch das eine oder andere für die Amis: Innerhalb von zwei Jahren lässt er 12 000 Straßenkreuzer verschrotten, ein lukrativer Deal. Die schlucken zu viel Benzin, die will niemand mehr haben. „Schade drum, heute wären sie viel wert.“ Damals kann man das nicht wissen. Auch ein Eugen Kiemele ist kein Hellseher.

In Ellwangen besorgt er 1965 den ersten Panzer. Am Ausgang der Kaserne fordern sie ihn auf, den Panzerführerschein vorzuzeigen. „Was soll das sein?“, fragt er, und schafft es am Ende doch wieder, einfach durchzukommen. Im Ort noch schnell tanken und dann heim auf die Ostalb mit dem Panzer.

Eugen Kiemele ist gut vernetzt, er hat seine Quellen überall, er ist oft der Cleverste. Als in den 60ern in Stuttgart die Tapetenfabrik Gallion abbrennt, kennt Kiemele wen, der wen kennt, und erfährt, die Versicherung will die noch erhaltenen Tapeten loswerden, manche verströmen ein nicht gerade dezentes Rauchodeur. Kiemele bekommt günstig zehn Lastwagen voll Tapeten und verkauft zu Hause die Rolle um eine Mark. Für die schicken Leute in der Stadt sind die verrauchten Tapeten nichts mehr wert. Doch weiter im Osten des Landes hat man solche feinen Stöffle noch nie gesehen. Tapeten haben die Bauern bis dahin nicht in ihren Stuben. Die Leute stehen Schlange.

Einstieg ins Altenpflegebusiness

Eugen Kiemele steigt über Nacht ins Altenpflegebusiness ein. Ende der 50er Jahre ruft der Prokurist der Unterwäschefirma Triumph aus Heubach an, er habe Schreibmaschinen und ein altes Feuerwehrauto zu verkaufen, außerdem noch ein Haus. „Au, des woiß i jetzt nedda, was mr do drmit macha ko“, grübelt Kiemele. Häuser zum Verkauf, das gibt es damals auf dem Land noch nicht, da baut man selber. Kiemele schaut sich das Gebäude an, es ist das Gästehaus von Triumph, in dem die Fotomodelle wohnen, „die die BHs rumzoigat“. Er kauft das Haus: „Was könnt mr do neimacha?“ Er denkt nach. Ein Heim für Alte! Das gibt es nirgends. Schnell ist alles ausgebucht. Ein „Bombagschäft“. Amalie und die Töchter lernen den Altenpfleger-Beruf.

Kiemele ist ein Ruheloser, immer auf der Suche. Sein Museumssprecher Boris Wolff sagt: „Wenn Eugen liest, in Italien wird gerade im Meer nach einem Schatz gegraben, schickt er sofort jemanden runter zum Tauchen.“ Manche Sachen muss er einfach haben. Schon seit Jahrzehnten kauft er sich am Wochenende immer die Zeitungen aus Frankfurt und München. So kommt er eines Tages auch zu einem 1,4 Millionen teuren Kurpark. Las er doch da in der FAS: „Kurpark zu verkaufen.“ Noch heute steht in Ingelfingen bei Künzelsau ein Altersheim, betrieben von der Familie Kiemele.

In einem großen Nebenraum in Seifertshofen liegen 2500 Pokale. Die hat alle Kiemele gewonnen. Denn wer sagt, dass es nicht möglich ist, neben dem Leben als Bauer, Händler und Sammler auch noch Rennen zu fahren? Aber nicht nur irgendwie. Ende der 60er fängt Kiemele mit der Formel V an, später kommen Formel 3 und Bergrennen dazu. Das Warm-up fährt „die Sau am Berg“, wie manche ihn nennen, immer in den Hausschuhen. Und am Ende steht er meistens auf dem Siegertreppchen. Wenn nicht, „isch’s Auto verreckt oder hot Feuer gfanga“. 1973 widmet die „Bild“-Zeitung Kiemele eine Doppelseite: „Bauer aus Schwaben bricht Avus-Rekord.“ Und obwohl der Überflieger auf der großen Bühne mitspielt, sind alle in seinem Team Bauern von der Ostalb, jeden Sonntag für ihn im Einsatz.

Tractorpulling beim Kiemele

In Seifertshofen hat Kiemeles Sohn Hans nach und nach das Alltagsgeschäft übernommen. Es gibt viel zu organisieren. Vor allem jedes Jahr im Herbst, wenn das große Fest gefeiert wird. Dann kommen mehr als 25 000 Besucher. Beim Tractorpulling staunen die Gäste, auch hier war Eugen Kiemele eine große Nummer, was sonst? Schwere Traktoren schleppen schweres Zeug, und die Menge jubelt. Ein Magnet bei jeder Veranstaltung sind auch die Panzer vom Kiemele. Alle wollen damit cruisen, selbst die 70-jährigen Damen aus der Stadt. Und dann geht’s ab, da werden in null Komma nix 40 schrottige Fiat platt gefahren, eine Gaudi.

Manche Besucher schütteln den Kopf über all die militärischen Fahrzeuge: Das kann man doch nicht gutheißen, nicht den Kindern zeigen! Der alte Kiemele sieht sein Lebenswerk in hellerem Licht. Er glaubt, wie wir auf den Speer des Neandertalers schauen, so werden die Menschen in 200 Jahren den Panzer sehen, ihn belächeln vielleicht, staunen über den plumpen Tötungsklotz. Aus dem wilden Jungen von einst, dem Rennfahrer und Cleverle ist bisweilen ein Mann mit Blick fürs große Ganze geworden. Im Irrgarten der endlosen Gänge und Zimmer in Seifertshofen bleibt der Gast seltsam ratlos zurück, erschlagen von der Wucht der Dinge, die, ihrem Alltagsgebrauch enthoben, zu sprechen anfangen über den, der sie geschaffen hat: Der Mensch erfindet das Rad und baut zermalmende Panzermaschinen. Er näht sich das edelste Schuhwerk, stellt seinen Kindern liebliche Puppen unter den Christbaum, spielt am einen Tag Beethovens Waldsteinsonate, und am anderen knallt er die nächstbeste arme Sau ab. Was gäbe es mehr zu sagen?

Eugen Kiemele kann eine Geschichte nach der anderen erzählen, in ruhigem breitem Schwäbisch. „I komm gar nemme zum Essa“, sagt er dann und beißt in seinen Leberkäs-Briegel.