Eintracht Frankfurt schwebt auf einer Woge der Zuneigung. Der Erfolg übertrifft selbst die kühnsten Pläne von Vorstand Fredi Bobic. Gelingt im Europa-League-Halbfinale gegen den FC Chelsea am Donnerstagabend der nächste Coup?

Frankfurt - Es ist schon eine Weile her, dass Eintracht Frankfurt ein hübsches Sümmchen zahlte, damit der FC Chelsea im Stadtwald ein Gastspiel gab. So lange, dass sich Sportdirektor Bruno Hübner gar nicht mehr an den 1. August 2010 erinnert. „Da war ich noch gar nicht da!“ Was ja auch stimmt: Als die „Blues“ zur Saisoneröffnung beim hessischen Bundesligisten vorspielten und sich mit einer besseren Reservemannschaft kurz nach der WM in Südafrika eine 1:2-Niederlage abholten, verantwortete der ewige Macher Heribert Bruchhagen noch ganz alleine den sportlichen Bereich.

 

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Die Diva vom Main sollte in jener Saison all ihre Launen zeigen und im Mai 2011 zum bisher letzten Male absteigen – erst dann heuerte Hübner an. Die Episode belegt, in welchem historischen Rahmen das Europa-League-Halbfinale zwischen Eintracht Frankfurt und dem FC Chelsea (21 Uhr/RTL und DAZN) abläuft. „Ich habe immer davon geträumt, dass wir in einem Pflichtspiel gegen einen absoluten Topnamen Europas antreten dürfen“, erzählt Vorstandsmitglied Axel Hellmann, der aus der Frankfurter Führungsetage mit dem meisten Pathos gesegnet ist. Für den Mitbegründer der Fan- und Förderabteilung steigt in der mal wieder rappelvollen Arena „das größte Highlight der letzten 30,40 Jahre“.

Allein gegen den Geldadel

Selbst für Hübner stellt das Kräftemessen mit dem Champions-League-Gewinner 2012 und Europa-League-Sieger 2013 ein Ausnahmeereignis seiner sportlichen Laufbahn dar, und „ich habe immerhin gegen Real Madrid gespielt und bin weitergekommen“. 1982 war das, damals kickte der 1. FC Kaiserslautern die Königlichen im Viertelfinale aus dem Uefa-Pokal. Zwei Jahre zuvor hatte die Eintracht jenen Wettbewerb gewonnen. In der Vorschlussrunde standen ausnahmslos Bundesligisten und der Finalerfolg gegen Borussia Mönchengladbach (2:3, 1:0) im alten Waldstadion gilt bis heute als größter Erfolg der Vereinsgeschichte. Im Halbfinale düpierten die Frankfurter damals übrigens den FC Bayern München.

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Doch nun ist die (mediale) Wucht eine ganz andere, „die Zeiten sind doch nicht mehr zu vergleichen“, erklärt der 58-jährige Hübner. Anders als damals hält die Eintracht bereits seit dem Viertelfinale allein die deutsche Fahne hoch. Stellt Ajax Amsterdam in der Champions League den Außenseiter dar, der dem Geldadel eine lange Nase dreht, gibt Eintracht Frankfurt in der Europa League den Underdog, der in der Gruppenphase gegen Lazio Rom und Olympique Marseille, dann in den K.-o.-Begegnungen gegen Schachtjor Donezk, Inter Mailand oder Benfica Lissabon zubiss. Chelsea sei mit Stars wie Eden Hazard oder den Weltmeistern N‘Golo Kanté und Olivier Giroud allerdings noch mal „eine andere Hausnummer“, glaubt Hübner. „Vorher war der Marktwert unseres Gegner vielleicht doppelt so hoch, jetzt liegt er beim Drei- oder Vierfachen – und geht an die Milliarden-Grenze.“ Gleichwohl könne er versprechen: „Wir arbeiten alle auf die Sensation hin.“ Die größtmögliche Rückendeckung aus dem Umfeld soll helfen.

Fredi Bobic: Wir sind klar über Plan

Die Eintracht schwebt auf einer Woge der Zuneigung. Mit nunmehr 70 000 Mitgliedern ist der Club der am rasantesten wachsende Bundesligist, die internationalen Festspiele haben mehr als 30 Millionen Euro in die Kassen gespült, womit der Umsatz auf weit über 160 Millionen wachsen wird. „Wir sind klar über Plan“, sagt Sportvorstand Fredi Bobic, „und überholen uns gerade selbst.“ Dazu tritt das Team mit Profis aus 18 Nationen als Spiegelbild der Mainmetropole an, in der jeder zweite Bürger einen Migrationshintergrund besitzt. Die Fans sind stolz auf dieses zusammengeschweißte Multikulti-Ensemble, das das Gegenteil von einer Legionärstruppe abgibt.

Die jüngste Delle im Liga-Betrieb mit nur zwei Punkten aus den Partien gegen den FC Augsburg, VfL Wolfsburg und Hertha BSC wird ausgeblendet, weil die Eurofighter vom Main in den Europapokalspielen mit einem besonderen Energieschub versehen sind. Denn wie hat Hellmann nach dem Kraftakt gegen Benfica Lissabon so plakativ erklärt: „Wenn hier die Lichter angeknipst werden, die Europa-League-Hymne kommt und die Choreographie aufgeht, fühlen sie sich, als wären sie in einen Zaubertrank gefallen.“ Hübner ist sogar der Überzeugung, dass selbst die Prominenz von der Stamford Bridge eine Atmosphäre erleben wird, „die sie so noch nicht gespürt haben“.

Der Trainer ist zuversichtlich

Diesen Optimismus will Trainer Adi Hütter gar nicht einfangen. „Ich bin zuversichtlich, weil wir eine super Saison gespielt haben. Wir reden von Europa-League-Halbfinale und Platz vier in der Bundesliga. Ganz ehrlich: Wir können nur gewinnen.“ Am Donnerstag muss der 49-jährige Österreicher aber den an einer hartnäckigen Bauchmuskelverletzung leidenden Sebastién Haller und den gesperrten Ante Rebic ersetzen, so dass zwei von drei Frankfurter „Büffeln“ aus der furiosen Offensive fehlen. Überbordender Antrieb bleibt für alle das Finale am 29. Mai in Baku. „Das ist unser Traum“, beteuerte Hübner und fügte grinsend an: „So kurz vor dem Endspiel nehmen wir auch einen übermächtigen Gegner an.“ Und der kommt diesmal sogar ohne Extragage.