Es wird höchste Zeit, dass die EU wieder eine handlungsfähige Kommission bekommt. Denn es stehen gewaltige Aufgaben bevor. Eine Übersicht.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Der Präsident der EU-Kommission hat das wichtigste Amt, das es in der EU zu vergeben gibt. Der oder die Politikerin steht jeweils für fünf Jahre an der Spitze einer Behörde mit 35 000 Beamten. Sie ist mit der Regierung auf nationaler Ebene vergleichbar, sie muss Vorschläge für Gesetzesentwürfe vorlegen. Darüber hinaus hat sie Kontrollfunktion. Sie muss überprüfen, ob sich alle Mitgliedstaaten an die EU-Verträge halten. Wenn nicht, sind Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Es wird höchste Zeit, dass die EU wieder eine handlungsfähige Kommission bekommt. Dies sind die sechs größten Herausforderungen, vor der die EU steht.

 

Italien

Die Haushaltsprobleme Italiens, der viertgrößten Volkswirtschaft in Europa, sorgen schon länger für Kopfzerbrechen. Die Verschuldung der italienischen Volkswirtschaft (von 130 Prozent) gemessen an der Wirtschaftsleistung ist nach der in Griechenland die zweitgrößte in der Euro-Zone. Hinzu kommt, dass die italienischen Banken auf einem Haufen fauler Kredite sitzen. Seitdem die Populisten-Regierung im Land an der Macht ist, ist der Streit zwischen Rom und Brüssel eskaliert, weil sich Italien weigert, den Vorgaben aus Brüssel für den Abbau der Staatsverschuldung zu folgen. Klar ist, dass die bestehenden Rettungsschirme der EU zu klein wären, sollte Italien, so wie vor einigen Jahren mit Griechenland geschehen, von einer Staatspleite bedroht sein und an den Finanzmärkten keine Kredite mehr aufnehmen können. Die Kommission muss Rom dazu bringen, sich an die Spielregeln zum Abbau der Staatsverschuldung zu halten, andernfalls ist die ganze Eurozone latent bedroht.

Flüchtlinge

Im Vergleich zu 2015, als mehr als eine Million Flüchtlinge unkontrolliert nach Europa kamen, sind die Zahlen der irregulären Zuwanderung um 90 und mehr zurückgegangen. Die Lage an den Außengrenzen ist unter Kontrolle, weil die Türkei und andere Anrainer den Zustrom begrenzen. Das könnte sich aber schnell ändern. Sollten die Zahlen wieder alte Höhen erreichen, stünde die EU vor alten Problemen. Die Mitgliedstaaten sind sich nicht einig, wie die Flüchtlinge innerhalb der EU zu verteilen sind. Etliche osteuropäische Staaten wie Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei wollen überhaupt keine Flüchtlinge aufnehmen, einige westeuropäische Staaten wie Italien, Spanien und Österreich wollen keine zusätzlich aufnehmen. Die Kommission muss zusammen mit den Mitgliedstaaten einen Verteilmechanismus finden, der in allen Hauptstädten akzeptiert ist, ansonsten droht beim Ansteigen der Zahlen die nächste politische Krise.

Rechtsstaatlichkeit

Etliche Mitgliedstaaten verstoßen gegen die EU-Verträge: Sie behindern systematisch die Unabhängigkeit der Justiz, sie schränken die Pressefreiheit ein und gehen gegen missliebige Nichtregierungsorganisationen sowie gegen Universitäten vor. Dies betrifft vor allem osteuropäische Länder wie Polen, Ungarn und Tschechien. In Rumänien ist es zudem bis heute nicht gelungen, auch nur die Vorgaben bei der Bekämpfung der Korruption einzuhalten, die eigentlich bei der Aufnahme des Landes in der EU (2007) der Standard hätten sein müssen. Selbst wenn die Mitgliedstaaten vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt werden, heißt dies nicht, dass sich alle daranhalten und ihre Politik ändern. Die EU muss dringend einen Mechanismus entwickeln, der zu Sanktionen bei Rechtsstaatsbrüchen führt. Denkbar wäre etwa, den Zugang zu Strukturhilfen und anderen Fördergeldern an vertragskonformes Verhalten zu knüpfen.

Haushalt

Der mittelfristige Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 ist noch nicht beschlossen. Es gibt bislang nur den Vorschlag von Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU). Die Sache eilt: Wenn sich die Mitgliedstaaten nicht einigen, werden zum Beispiel Universitäten 2021 ohne die Forschungsgelder dastehen, die für den Anschluss an die Weltspitze in Bereichen wie Supercomputern und Raumfahrt dringend benötigt werden. Es würde auch das Geld fehlen, um die Kräfte der Grenzschutzagentur Frontex auf 10 000 Mitarbeiter massiv aufzustocken. Alle Mitgliedsländer müssen Beiträge für den EU-Haushalt aufbringen. Da Großbritannien aus der EU ausscheidet und damit der zweitgrößte Nettozahler, müssen die Ausgaben kräftig gesenkt oder auf weniger Schultern verteilt werden. Oettinger etwa hatte vorgeschlagen, die Agrarförderung und die Beihilfen für strukturschwache Gebiete, die bisher 70 Prozent der EU-Ausgaben ausmachen, abzubauen. Ein Kompromiss ist auch deswegen so schwer, weil etliche Mitgliedsländer wie etwa die Niederlande und Österreich kategorisch ausgeschlossen haben, mehr nach Brüssel zu überweisen. Der Nachfolge Oettingers als Haushaltskommissar muss möglichst bald einen Konsens für den mehrjährigen EU-Finanzrahmen mit einem Volumen von 1134 Milliarden herstellen.

Handel

Noch immer schwelt der Handelskonflikt mit den USA. Die Trump-Regierung droht, Autozölle gegen europäische Hersteller zu verhängen. Am meisten wären davon deutsche Luxushersteller betroffen, die ohnehin gerade Probleme haben, weil sie in einer konjunkturellen Krise stecken und weil sie den Umstieg auf alternative Antriebstechnologien schaffen müssen. Handelsverträge der EU mit anderen Staaten sind Sache der EU-Kommission. Die Kompetenzen haben die Mitgliedstaaten komplett abgegeben Die Kommission peilt einen Handelsvertrag mit den USA an, bei dem Zölle auf Industrieprodukte weitgehend abgeschafft werden. Ob das gelingt ist sehr unsicher, da die USA unbedingt Zugang zur EU für ihre Agrarprodukte wollen, den Frankreich ihnen aber auf keinen Fall gewähren will.

Brexit

Ende Oktober droht der ungeregelte Austritt Großbritanniens aus der EU. Wenn es wirklich dazu kommt, muss die Kommission die Folgen für den EU-Binnenmarkt möglichst geringhalten. Eine weitere Verschiebung des Austrittsdatums kann auch nicht ausgeschlossen werden. Sollte es dazu kommen, muss die Kommission weiterhin die Verhandlungen über eine Verlängerung der Übergangsperiode und über die Zeit nach der formalen Trennung begleiten. Es geht auch darum, einen Handelsvertrag mit London abzuschließen und Großbritannien als politischen Partner nicht ganz zu verlieren.