Reichlich überraschend wurde André Thieme am Wochenende neuer Europameister im Springreiten – das verdankt er seinem Vater, preußischer Disziplin und noch jemandem.

Stuttgart - Michael Thieme, Jahrgang 1955, war Obersattelmeister im Landgestüt Redefin in der Nähe von Schwerin, ein Mann, der großen Wert auf reiterliche Disziplin und korrektes Verhalten im Sattel legte. Preußische Tugenden zählten im Hause Thieme genauso viel wie die Liebe zum Tier. Und deshalb hatte Thieme senior eine klare Vorstellung von der Karriere des Sohns André: Vor dem Springen war das goldene Reitabzeichen in der Dressur abzulegen. Der Vater war ein gestrenger Lehrmeister, der den tagträumenden Burschen oft mit den Worten maßregelte: „Junge, jetzt wach doch endlich mal auf!“

 

André Thieme, Jahrgang 1975, gehorchte, ein bisschen notgedrungen, ein bisschen aus eigenem Antrieb, legte mit 19 Jahren die vom Vater gewünschte Prüfung ab – und wechselte zum Springreiten. Er gewann einige wichtige Prüfungen, die Krönung aber erlebte der Mann aus Mecklenburg erst 2021, als er überraschend selbst für die Experten Europameister wurde. Mit seiner Fuchsstute Chakaria, Jahrgang 2010, ließ er alle großen Namen hinter sich. Vor drei Jahren hatte er das damals acht Jahre alte Deutsche Sportpferd bei einem ländlichen Turnier entdeckt, sich Hals über Kopf in die Stute verliebt und sie Ende des Jahres in den eigenen Stall geholt. Seinem Goldpferd fühlt sich André Thieme seitdem emotional tief verbunden. „Ich liebe dieses Pferd“, bekannte der neue Europameister und schob fix hinterher: „Fast so sehr wie meine Frau.“