Die große Show am Samstag ist nun komplett. Im zweiten ESC-Halbfinale in Rotterdam gewannen große Nummern, feine Überraschungen plus manch Gestampfe. Und mitten drin die Perle des Wettbewerbs, trotz Corona-Quarantäne: Island!

Kultur: Tim Schleider (schl)

Rotterdam - Man kann beim Eurovision Song Contest auch vom Hotelzimmer aus Erfolg haben: Zu den zehn Gewinnern des zweiten ESC-Halbfinales am Donnerstagabend in der Ahoj-Arena in Rotterdam zählt auch die Formation Dadi & Gagnamagnid aus Island.

 

Weil einer der Musiker am Mittwoch positiv auf Corona-Antikörper getestet worden ist, darf die Truppe nicht mehr live auf die Bühne, sondern muss fortan vom Quartier aus und in Quarantäne den weiteren Wettbewerb beobachten. Sie blieben aber trotzdem im Rennen – anstelle einer Live-Performance spielte das niederländische Fernsehen unter der Startnummer 8 die Aufnahme ihrer Generalprobe ein. So kompliziert kann es zugehen, wenn trotz Pandemie die Eurovision alles tut, um mit ihrem großen Pop-Wettbewerb der Welt ein Signal des Aufbruchs zu schenken: Open up!

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Und man glaubt es kaum: Es hat bei den Isländern funktioniert. Selbst ohne großes Publikum überzeugte Dadi & Gagnamagnid mit dem sehr coolen und witzigen Titel „10 Years“ und einer herrlich selbstironischen Inszenierung. Auch beim Finale am Sonntag werden sie wieder nur per Video dabei sein. Trotzdem unsere Prognose: Island gehört am Samstag zu den Top-Favoriten. Es könnte sein, dass zum Schluss die Gewinnertrophäe via Zimmerservice überreicht wird.

Neun weitere Halbfinalisten gewannen am Ende der Show am späten Donnerstagabend das große Los, getragen vom Ergebnis der nationalen Jurys und der Zuschauervotings. Wie immer ergibt sich eine bunte Mischung aus typischen ESC-Rennern, schrecklichen Missgriffen und zwei, drei feinen Überraschungen. Zu den typischen Rennern zählt eine energische Popdance-Nummer aus Griechenland und eine emotionale Ballade aus Bulgarien. Während man sich bei den erfolgreichen Humpta-Humpta-Beiträgen aus San Marino, Serbien, Moldau und Albanien immer wieder fragt: Wer um Himmels Willen ruft für solche Titel an?

Versöhnt wird man dann aber durch die feinen Überraschungen. Die richtig harte Heavy Metal Nummer „Dark Side“ von Blind Channel ist ein echter Drei-Minuten-Kracher und textlich ein wütender Abgesang auf die Corona-Misere. Das bringt ordentlich Schmackes ins Finale. Aus Portugal dagegen kommt eine ganz ungewöhnliche Soulnummer: „Love is on my Side“ mit der Gruppe The Black Mamba und ihrem charismatischen Sänger Pedro Tatanka. Den schönsten Auftritt des Abends zeigte aber der Schweizer Sänger Gjon’s Tears mit seinem Titel „Tout L’univers“, einem musikalisch ungemein facettenreichen Chanson in französischer Sprache, gleichermaßen zart, überraschend und trotzdem eingängig.

Insgesamt war das zweite Halbfinale musikalisch leider schwächer als das erste. In diesem Umfeld hätte der australische Beitrag, dem es am Dienstag am Schluss überraschend an Stimmen fehlte, wohl locker einen Finalplatz bekommen. So wie es dem Beobachter auch um Vincent Bueno aus Österreich leid tut, der trotz seiner kraftvollen Ballade „Amen“ und einer eindrucksvollen Performance keinen Erfolg hatte. Aber so ist das nun mal beim ESC: Hier prallt der höchst unterschiedliche Musikgeschmack von fast 300 Millionen Zuschauern aufeinander. Und am Ende gilt ja sowieso: Die Mischung macht’s. Und Spaß muss auch sein.