Am Freitag findet der Vorentscheid zum Eurovision Song Contest in Tel Aviv statt. Wir erinnern an zehn deutsche Finalisten, die unseren Kritikern nicht gefallen haben.

Berlin/Tel Aviv - Sieben Interpreten kämpfen an diesem Freitag um das Ticket für Tel Aviv. Zehn deutsche Finalteilnehmer, die besser nie geschickt worden wären.

 

Conny Froboess: „Zwei kleine Italiener“ (1962)

„Zwei kleine Italiener, vergessen die Heimat nie, Palmen und die Mädchen am Strande von Napoli.“ Und ähnlich sinnfrei geht es fort und fort zur schunkelnden Melodie (hier geht’s zum Video). Der Refrain ist kompositorisch so dünn, dass er – etwas flotter arrangiert – heute noch inbrünstig im Musikantenstadl angestimmt werden könnte: „Oh Tina, oh Marina, wenn wir uns einmal wiederseh’n. Oh Tina, oh Marina, dann wird es wieder“ – na, Sie wissen schon. 57 Jahre ist das her. Conny Froboess schmetterte sich in Luxemburg immerhin auf den sechsten Platz vor (16 Teilnehmer). Man verzeiht es der schnuckeligen Sängerin, denn aus dem trällernden Kinderstar erwuchs eine tolle Schauspielerin: 29 Jahre im Ensemble der Münchner Kammerspiele! Da muss man großzügig sein, auch wenn es schwerfällt. (göt)

Siw Malmkvist: „Primaballerina“ (1969)

Kling, klong, kling und dazu ein rasselnder Rhythmus, als wollte die Sängerin Siw Malmkvist den Saal zu einer zünftigen Polka auffordern (hier geht’s zum Video). Spitzentanztauglich ist die Melodie von „Primaballerina“, hysterisch fröhlich vorgetragen, jedenfalls nicht. Das Lied handelt von einer Ballerina, offenbar eine einsame kleine Porzellanfigur auf einer Spieluhr, die es in ein Märchenland verschlagen hat und die lalala, lalalalalalaaa, wohl fast schon gönnerhaft befragt wird: „Weinst du nicht, wenn das Mondlicht sich im Lächeln der Verliebten bricht? Lalalalaaaa!“ Äh, klar Menschen können nur glücklich sein, wenn sie mindestens zu zweit sind – und das zu Studentenrevolten und BH-zerreiß-Zeiten!, 1969 vorgesungen. Da war die 1936 in Landskrona, Schweden, geborene Sängerin mit dem Namen wie aus einer Pippi-Langstrumpf-Geschichte fünf Jahre zuvor schon mal weiter. Heiter swingend und von allen Paarzwangsharmonien befreit flötete sie: „Liebeskummer lohnt sich nicht“. (golo)

Les Humphries Singers: „Sing, sang, song“ (1976)

Sing, sang, song. Das war’s. Fast. Denn die Les Humphries Singers hatten noch eine Variante auf Lager, als sie Deutschland 1976 mit ihrem Liedchen den Eurovision Song Contest vermasselten. Als Fünfzehnte unter 18 Startern. Singe, sang, song, hieß es da, und sehr Aufmerksame merken da den kreativen Unterschied (hier geht’s zum Video). Ansonsten germanische Peinlichkeit: „Komm und sing mit mir, denn singen macht uns alle frei.“ Hui, wie es einen mitreißt, wenn sich „dafür ist singen gut“ auf „alle unter einen Hut“ reimt. Auch der Gruppe hat der Singsang nicht gut getan. Sie löste sich kurz nach der ESC-Pleite auf. Was in Erinnerung bleibt? Vielleicht Jürgen Drews. Ansonsten: Mist, Mast, Most. (wmo)

Dschinghis Khan: „Dschinghis Khan“ (1979)

Als 1979 die von Ralph Siegel betreute Blödeltruppe Dschinghis Khan den vierten Platz beim ESC belegt, denken plötzlich viele Deutsche über die Anschaffung von Pluderhosen und Panzerwesten mit Plüscheinsätzen nach. Dschinghis Khan bringen arthritische Hüften zum Kreisen, das ist wie popmusikalisches Beckenbodentraining (hier geht’s zum Video). Der Gesang scheint Banane, man merkt sich nur den Refrain „He Reiter, ho Reiter, he Reiter, immer weiter“. Was niemandem aufstößt: Dschinghis Khan sind in ihrer Geschichtsvergessenheit hochpolitisch, denn die Gruppe besingt einen Massenmörder. Was lernt man daraus? Seit Dschinghis Khan sind Pol Pot und Idi Amin ESC-fähig. Und Ralph Siegel ist in Wahrheit ein Gehirnchirurg. (pav)

Nicole: „Ein bisschen Frieden“ (1982)

Was für eine Schmach! Seit 1971 (anfangs neunjährig) bibberte ich Jahr um Jahr einem deutschen Grand-Prix-Sieg entgegen. Und dann kommt der erste Sieg ausgerechnet 1982, im Jahr der Friedensdemos im ganzen Land, mit einem Friedensbewegungs-Verarschungslied aus dem CSU-nahen Musiklabor Ralph Siegel (hier geht’s zum Video). „Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude / Ein bisschen Wärme, das wünsch’ ich mir / Ein bisschen Frieden, ein bisschen Träumen / Und dass die Menschen nicht so oft weinen“: HÄ? Noch nie was von PERSHINGS gehört? Würg-lich: Dieses Lied ist ein Neverending No-Go! Deswegen: Frieden schaffen ohne Siegel-Laffen! (schl)

Atlantis 2000: „Dieser Traum darf niemals sterben“ (1991)

Der Eurovision Song Contest ist schrill, schräg – umso größer der Schock, als 1991 in Rom die Combo um John-Lennon-Double Alfons Weindorf die Bühne enterte und dabei so frisch wirkte, als sei sie „Bibel TV“ entsprungen (hier geht’s zum Video). Schon beim deutschen Vorentscheid war der Sieg der Gruppe mit Pfiffen und Buhrufen quittiert worden. Die Macher der ARD hätten es also ahnen können: Was selbst den Deutschen zu fad ist, kann im Rest Europas kaum Ekstase hervorrufen. Das Ergebnis war dementsprechend: Punkte gab’s aus drei Ländern, das reichte für Platz 18 – von 22 Ländern. „Und wir lernten zu verlier’n.“ (smr)

Sürpriz: „Reise nach Jerusalem“ (1999)

Da findet der ESC in Jerusalem statt – und wie lautet der Titel des deutschen Beitrags? „Reise nach Jerusalem“. Drollig auch der Text. „Frieden ist mehr als nur ein Spiel, bei dem nur einer gewinnt. Weil wir Menschen sind!“, heißt es dort unter anderem. Ein Lied so frisch wie ein Kalenderspruch, ganz Deutschland ein Glückskeks (hier geht’s zum Video). Dabei ist die deutsch-türkische Band ein Musterbeispiel für gelungene Integration: So teutonisch hüftsteif wie Sürpriz beim Grand Prix bewegen sich südlich der Alpen nur deutsche Pauschaltouristen. „Leben ist eine Reise, die nach morgen führt.“ Nicht für Sürpriz, die lösten sich drei Jahre später auf – trotz Platz 3. (smr)

Michelle: „Wer Liebe lebt“ (2001)

Ein Jahr nachdem Stefan Raab mit seinem „Wadde hadde dudde da?“ die heile Eurovisionswelt auf den Kopf zu stellen drohte, entsandte man in Michelle eine Schlagerinterpretin nach Kopenhagen, mit der sich auch der gemeine SWR-4-Hörer wieder identifizieren konnte (hier geht’s zum Video). „Sommersonnenschein, der in dein Zimmer fällt, hell und warm dich umarmt“ ist nur die leise Hinführung zu einem Refrain, der – so musisch er auch komponiert sein mag – bei voller Lautstärke Fensterscheiben in der näheren Umgebung zu zerstören vermag. Dass es die in vielerlei Hinsicht einprägsame Ballade zum ESC schaffte, mag auch den Gegenkandidaten im deutschen Vorentscheid geschuldet sein: „Big Brother“-Star Zlatko, Rudolph Moshammer und der Münchner Zwietracht. (pavl)

Lou: „Let’s get happy“ (2003)

Die gute Nachricht zuerst: Danach musste nie wieder jemand unter deutscher Flagge ein Lied von Ralph Siegel beim ESC singen. Der Serientäter unter den Komponisten für deutsche ESC-Meterware griff 2003 nochmals beherzt daneben (hier geht’s zum Video). Textlich, eine Art dadaistisches Happy-happy-Bullshit-Bingo – musikalisch: als hätte jemand Abba Hände und Verstand auf den Rücken gebunden und gezwungen, eine bitte nicht allzu schwule Hymne für den CSD-Umzug im Vatikan zu schreiben. Immerhin, Platz 12. Unsere Gedanken sind bei San Marino, dem Siegel mittlerweile seine Lieder aufschwatzt. (setz)

Lena Meyer-Landrut: „Satellite“ (2010)

Mit der Herzlichkeit eines Kindes, das englische Liedtexte schmettert, obwohl das Fach erst in drei Jahren in der Schule drankommt, fuhr Lena Müller-Landshut den bis dato letzten ESC-Erfolg für Deutschland nach Hause. Oh, Beschwerde reingeflattert: Sie heißt Lena Meyer-Landrut. Viel länger als die drei Minuten hätte auch niemand mehr diesen aus der Indiedisco ausgeliehenen Hoppel-Beat ertragen (hier geht’s zum Video). Heute wirbt Lena im großen Stil für Beautyprodukte, sich selbst und ein bisschen für Musik. Doch wir erinnern uns noch voller Ehrfurcht an 2017: Da verkaufte sie in ihrem Shop tatsächlich ein T-Shirt auf das „Merchandise Lena 2017“ gedruckt wurde. Ihre nächste Platte heißt wahrscheinlich: „Platte von Lena mit völlig beliebigen Liedern, die vielleicht Hits werden 2019. Kaufen Sie bitte diesen tollen Lippenstift.“ (setz)