Die Aufklärung von psychischer, physischer, sexueller Gewalt bei der Brüdergemeinde Korntal läuft weiter. Allerdings hält auch die Kritik an.

Korntal-Münchingen - Eigentlich sollte 2020 Schluss sein. Nur noch in diesem Jahr, so war der Zeitplan, sollten sich die ehemaligen Heimkinder, die zwischen 1950 und 1980 Opfer von Gewalt in den Einrichtungen der Brüdergemeinde wurden, melden können, ihre Erlebnisse schildern und eine finanzielle Entschädigung erhalten. Nun wurde die Frist wegen der Corona-Beschränkungen verlängert. In einer Mitteilung der evangelischen Brüdergemeinde heißt es, die Betroffenen könnten sich bis 30. Juni 2021 an die Aufklärerin Brigitte Baums-Stammberger wenden. Mehr Zeit geben sich die Vertreter von Betroffenen und Brüdergemeinde auch, um eine bleibende Erinnerung an das Geschehen zu schaffen.

 

Ringen um das Erinnern an das Geschehen

In den Kinderheimen der pietistischen Gemeinde wurden zwischen 1950 und im wesentlichen 1980 schutzbefohlene Kinder Opfer von psychischer, physischer und sexueller Gewalt. Während der Aufarbeitung verständigten sich Opfervertreter und Kirchengemeinde auf eine Erinnerungskultur. Ein erstes Treffen hat laut der Gemeinde im Februar stattgefunden.

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Klaus Andersen, der weltliche Vorsteher der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal, sieht den bisherigen Dialogprozess zwischen den betroffenen und der Brüdergemeinde auf einem guten Weg. „Wir haben von unserer Seite aus immer wieder betont, dass wir als Brüdergemeinde und Diakonie zu unserer Verantwortung stehen und uns für eine nachhaltige Aufarbeitung einsetzen. Das direkte Gespräch mit Betroffenen war uns dabei von Anfang an wichtig.“ Das bewertet Detlev Zander völlig anders.

Zander lebte in den 1960er und 1970er Jahren in einem der Korntaler Kinderheime der Brüdergemeinde, dem Hoffmannhaus. Er hatte 2014 die Gewalt in den Heimen publik gemacht, sich dann mit anderen Betroffenen zerstritten. Entsprechend kritisch blickt er auf die Aufarbeitung. Er habe immer noch den Eindruck, die Brüdergemeinde wolle die Erinnerung für die Betroffenen bewahren, sagt Zander. „Es geht nicht darum, dass die Betroffenen erinnert werden. Die müssen sich nur im Spiegel anschauen, um erinnert zu werden.“ Er fordert grundsätzliche Veränderungen in der Gemeinde, zumal sich deren Struktur bis heute nicht geändert habe.

Bewerbung für Betroffenenrat der EKD

Damit sei die Brüdergemeinde aber nicht allein, meint Zander. Er hat sich deshalb für den Betroffenenbeirat beworben, den die Evangelischen Kirche Deutschland einsetzen will, auch um sich kritisch mit den Strukturen in der EKD auseinanderzusetzen. Das Konzept war auf Basis der Erfahrungen erarbeitet worden, die der Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig bisher machte. Die Besetzung des zwölfköpfigen Gremiums soll laut einer EKD-Sprecherin im Herbst bekannt gegeben werden.