In der SPD eckt Gabriel zunehmend an. Seine Partei hat keinen Platz mehr für den früheren Vorsitzenden. Die politische Karriere des erst 59-Jährigen neigt sich offenbar dem Ende zu.

Berlin - Ein Frühsommerabend im Mai, es sind noch wenige Wochen bis zur Europawahl. Sigmar Gabriel steht in der Mitte eines kleinen Zirkuszelts im Ostberliner Stadtteil Treptow und spricht über Außenpolitik: Es geht um Trump und das transatlantische Verhältnis, den Aufstieg Chinas und den Konflikt mit dem Iran, um den Zusammenhalt Europas. Der frühere Vizekanzler und Außenminister redet leidenschaftlich, anschaulich, persönlich. Gespannt lauschen die Zuhörer seinen Worten.

 

Der Abend auf dieser kleinen Bühne zeigt, warum viele den früheren SPD-Vorsitzenden für einen Politiker halten, der eigentlich auf der ganz großen Bühne stehen müsste. „Sigmar Gabriel ist vielleicht der begabteste Politiker, den wir in der SPD haben“, lobte Altkanzler Gerhard Schröder ihn noch vor einigen Monaten. Doch die politische Karriere des erst 59-jährigen Niedersachsen neigt sich dem Ende entgegen.

In der Parteizentrale wird mit den Augen gerollt

In der mehr als sieben Jahre von ihm geführten Parteizentrale wird vor allem mit den Augen gerollt, wenn die Sprache auf Gabriel kommt. Als Parteichef hat er viele Genossen durch Alleingänge verprellt. Die Quittung bekam Gabriel im vergangenen Jahr, als er am Ende der Koalitionsverhandlungen leer ausging und zu seiner großen Enttäuschung den Posten als Außenminister abgeben musste.

Seitdem ist Gabriel einfacher Bundestagsabgeordneter und fiel immer wieder mit Äußerungen auf, die viele in der Partei als grobes Foulspiel werteten. Er bemängelte den Zustand der SPD, als ob er die Partei nicht selbst von November 2009 bis März 2017 geführt hätte. Vor der Europawahl zerpflückte er mehrfach die Europapolitik der großen Koalition. Nach der Wahlschlappe rief der als Kritiker der damaligen Parteivorsitzenden Andrea Nahles bekannte Gabriel diejenigen zur Verantwortung, „die den heutigen personellen und politischen Zustand in der SPD bewusst herbeigeführt haben“. Genervt erwiderte Generalsekretär Lars Klingbeil: „Was wir nicht brauchen, sind jetzt irgendwelche alten Verantwortlichen, die von der Seitenlinie kommentieren.“

Gabriel fehlt bei vielen Bundestagssitzungen

Gabriel ficht so etwas nicht an. Gerade erst scheuchte er die Partei mit der Forderung auf, die SPD müsse die Koalition verlassen, wenn Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ohne den notwendigen Kabinettsbeschluss EU-Kommissionschefin werde. Rechtlich braucht es diesen Beschluss jedoch nicht. Wusste Gabriel das nicht – oder wollte er nur provozieren? „Vielleicht beides“, wird im Willy-Brandt-Haus gestöhnt.

Im Bundestag hielt Gabriel zuletzt eine engagierte Rede, in der er die AfD scharf angriff. Es könnte seine letzte gewesen sein. Gabriel schwänzt etwa jede dritte Plenarsitzung. Dies sei nicht akzeptabel, räumte er selbst ein und deutete seinen baldigen Mandatsverzicht an: „Ich muss im Sommer klären, ob ich bis zum Ende der Wahlperiode im Bundestag bleiben kann.“ Dass er bei der nächsten Wahl nicht mehr kandidieren will, hat er ohnehin schon erklärt.

Vor der Kanzlerkandidatur ist er zurückgeschreckt

Es fällt auf, dass Gabriel sich schon andere Betätigungsfelder schafft: Kürzlich übernahm er von Friedrich Merz den Vorsitz des Vereins Atlantik-Brücke, der sich für die deutsch-amerikanischen Beziehungen einsetzt. Für einen großen Verlag schreibt Gabriel zudem politische Kolumnen. Der Vater von drei Töchtern arbeitet an einem Image als „elder statesman“.

Gabriel würde wohl gerne wie der verstorbene SPD-Altkanzler Helmut Schmidt zu politischen und internationalen Themen als Experte befragt werden. Allerdings fehlt Gabriel zu diesem Status die Kanzlerschaft, zweimal schreckte er vor einer Kandidatur zurück. Es sei tragisch, sagt ein SPD-Vertreter. Aber Gabriel werde wohl als „Unvollendeter“ die Politik verlassen.