Nach seiner Freilassung aus jahrelanger Geiselhaft in Afghanistan ist der US-Soldat Bowe Bergdahl am Sonntag in Deutschland eingetroffen. In Washington freut sich US-Präsident Barack Obama mit den Eltern des ausgetauschten US-Infanteristen.

Washington - Die Szene hätte sich Hollywood nicht besser ausdenken können: Als Bowe Bergdahl endlich in einem US-Militärhubschrauber sitzt, soll er zwei Buchstaben und ein Fragezeichen auf ein Blatt Papier geschrieben haben:  „SF?“, für Special Forces. Ein Soldat neben ihm soll genickt und in den ohrenbetäubenden Lärm der Rotoren gebrüllt haben: „Ja, wir haben schon lange nach dir gesucht.“ Bergdahl sei daraufhin in Tränen ausgebrochen.

 

Ob sich das tatsächlich so abgespielt hat am Samstagabend gegen 19 Uhr Ortszeit im Osten Afghanistans, ist nicht belegt, sondern beruht auf einer Kolportage aus dem US-Verteidigungsministerium. Gesichert ist: Bowe Bergdahl, ein 28-jähriger US-Infanterist, ist frei. Fast fünf Jahre hielten ihn islamistische Rebellen im Grenzgebiet zu Pakistan gefangen. Bergdahl war der einzige offiziell vermisste US-Soldat in Afghanistan. Er ist freigekommen, weil die US-Regierung fünf Taliban aus dem Lager Guantánamo auf Kuba entlassen hat.

Nach US-Darstellung verlief die Übergabe Bergdahls friedlich und schnell. 18 Taliban übergaben den Soldaten auf afghanischem Territorium in die Obhut der US-Spezialeinheit. Das dauerte nur wenige Minuten, dann hob der Hubschrauber ab. Zuvor hat Bergdahl noch ein Abschiedsgeschenk von den Taliban bekommen: „einen afghanischen Turban, der ein Symbol Afghanistans ist, als Geschenk der Mudschaheddin“, wie ein Talibansprecher sagte. Bergdahl war am 30. Juni 2009 in der afghanischen Provinz Paktika verschleppt worden. Die US-Behörden vermuten, dass die Geiselnehmer zum Haqqani-Netzwerk gehören. Das ist eine militante Gruppe, die in Afghanistan und Pakistan operiert und nach Einschätzung der USA dem Terrornetzwerk Al-Kaida nahesteht. Bergdahl wurde möglicherweise in Pakistan festgehalten und erst nach Afghanistan gebracht, als seine Freilassung näher rückte.

Der Emir von Katar bot hilfreiche Vermittlerdienste

Schon vor gut zwei Jahren hat die US-Regierung erklärt, dass sie mit den Taliban darüber verhandle. Es bedurfte aber erst der Vermittlung des Emirs von Katar, um voranzukommen. Es waren auch Diplomaten aus Katar, die am Samstag die fünf Taliban in Guantánamo in Empfang nahmen und mit ihnen in einer Militärmaschine in das Emirat flogen. Die fünf Männer, die seit mehr als einem Jahrzehnt auf der Insel inhaftiert waren, gehörten offenbar zur früheren Führung der Talibanbewegung, als diese von 1996 bis zum Winter 2001 Afghanistan beherrschte. Unter den Freigelassenen sollen der ehemalige Talibaninnenminister, der damalige Vizeverteidigungsminister und ein hochrangiger Ex-Geheimdienstler sein. Sie dürfen das Land am Persischen Golf mindestens ein Jahr lang nicht verlassen. Ein Reiseverbot und eine strenge Überwachung der Taliban durch die katarischen Behörden waren die Bedingungen der US-Regierung. US-Verteidigungsminister Chuck Hagel sagt, es sei gewährleistet, „dass die nationale Sicherheit der USA nicht gefährdet wird“.

Der Vater hat sicherheitshalber Dari gelernt

Die Freilassung der Guantánamo-Häftlinge ist – oberflächlich betrachtet – ein Verstoß gegen eine Regel, die sich die US-Regierung selbst gegeben hat. Bisher hieß es immer, man verhandle nicht mit Terroristen, zu denen in Washington sowohl die Taliban als auch die Haqqani-Gruppe gezählt werden. Doch offenbar wäre Bowe Bergdahl niemals freigekommen, wenn sich die US-Regierung nicht bewegt hätte.

Einige hartgesottene Republikaner üben Kritik an dem Deal. Einer davon ist Senator John McCain, der selbst jahrelang in nordvietnamesischer Kriegsgefangenschaft saß. Er sagt, es müsse aber wirklich sichergestellt sein, „dass diese bösartigen und gewaltbereiten Talibanextremisten nie mehr den Kampf gegen die USA aufnehmen“ könnten. Sein Parteifreund Mike Rogers sprach von einem Präzedenzfall, der Anreize für weitere Entführungen schaffen könnte. Andere beschweren sich, dass sie als Parlamentsabgeordnete nicht vorab von dem Tauschgeschäft informiert worden sind. Formal hätte das auch passieren müssen, aber offenbar war Eile geboten.

Bowe Bergdahls Eltern wollten sich am Wochenende verständlicherweise mit solchen prinzipiellen Fragen nicht beschäftigen. Sie freuten sich über die gute Nachricht, die der US-Präsident Barack Obama am Telefon überbracht hat, und erklärten: „Wir können es nicht erwarten, unseren einzigen Sohn in die Arme zu schließen.“

Stunden später wurden Jani und Bob Bergdahl selbst zu Darstellern in einer Hollywood-reifen Szene. Sie traten an der Seite Obamas in den Rosengarten des Weißen Hauses, sagten Worte des Dankes an alle, die an der Befreiung beteiligt waren, und ließen sich dann vom US-Präsidenten umarmen. Ein „Wonderful“ war zu hören, das Obama Jani Bergdahl ins Ohr flüsterte. Daneben stand ihr Ehemann Bob. Er trägt einen langen Bart, den er seit dem Tag wachsen ließ, an dem sein Sohn in Afghanistan verschleppt wurde. Bob Bergdahl treibt die Angst um, dass Bowe kein Englisch mehr versteht. Er wendet sich deshalb auf Dari an seinen Sohn. „Ich bin dein Vater, Bowe“, sagt er ins Mikrofon.

Sein Sohn soll nun im US-Lazarett Landstuhl bei Kaiserslautern medizinisch weiterversorgt und auf das Treffen mit der Familie in den USA vorbereitet werden.