Die Kirche ist ein Ort der Besinnung. Das gilt auch nachts. Unser Autor hat die Atmosphäre in der Kirche in Musberg (Leinfelden-Echterdingen) zwischen 20 und 8 Uhr auf sich wirken lassen und dort geschlafen. Doch wohin legt man sich am besten?

Musberg - Bauch oder Rücken? Diese Frage beschäftigt mich am späten Abend mitten in Musberg. Wenn ich nämlich – wie jetzt – auf dem Bauch liege, schläft mir der rechte Arm ein, den ich unter den Kopf gelegt habe. So kann ich nicht einschlafen. Ich drehe mich auf den Rücken. Besser ist das nicht. Unter meinem Po ist es trotz der Isomatte hart. Das liegt daran, dass ich auf dem Steinboden der evangelischen Kirche in Musberg liege.

 

Zwischen der Kanzel und der ersten Bank habe ich mein Haupt niedergelegt. Hier zu übernachten, ist ein Experiment. Mich interessiert, wie eine Kirche nachts wirkt und wie es sich dort schläft. Den Takt dazu gibt die Kirchturmuhr vor. Gerade höre ich drei Glockenschläge: Es ist 22.45 Uhr. Zunächst ist die laute Turmuhr für mich gewöhnungsbedürftig. Aber sie hat einen Vorteil: Ich weiß alle 15 Minuten, wie viel Zeit vergangen ist und jede Stunde genau, wie spät es ist, ohne auf die Uhr zu schauen. Trotzdem habe ich mir den Wecker auf 6 Uhr morgens gestellt. Ich bin hundemüde und möchte schnell einschlafen. In 15 Minuten wird es wieder laut.

Die Idee kam mir bei einer Eisernen Hochzeit

Natürlich kenne ich die Musberger Kirche mitten im Ortskern. Unzählige Male bin ich dort vorbeigefahren. Als Reporter war ich dabei, wie auf dem Platz davor der Narrenbaum aufgestellt wurde, und ich war vor Jahren dort, um über den Weihnachtsmarkt zu berichten, der um das Gebäude herum stattfindet. Drinnen war ich noch nie.

Dass ich mir diese Kirche für mein Experiment ausgewählt habe, hat mit einem Treffen bei einer Eisernen Hochzeit vor Kurzem zu tun. Dort war nämlich der Pfarrer Rainer Müller zu Gast. Als ich ihn noch am selben Tag anrief und fragte, ob ich eine Nacht in der Kirche verbringen kann, überlegte Müller nicht lange. „Das können wir gerne machen“, antwortete er.

Ein paar Tage später treffe ich ihn an einem Montag um 20 Uhr wieder. Er gibt mir zwei Schlüssel: „Dieser ist für die Kirche und der für das Gemeindehaus mit den Toiletten.“ Müller begleitet mich noch in die Kirche. Wir steigen die Stufen der Außentreppe hoch und betreten über die Empore das Halbdunkel des Gebäudes. Der Pfarrer zeigt mir, welchen Lichtschalter ich drücken kann, damit es heller wird. Doch auch danach liegen Teile der Kirche im Dunkeln. Nur das Licht über den Bänken im vorderen Teil der Kirche brennt. Aber ich bin ja schließlich zum Schlafen da.

Ich will den nächtlichen Besucher nicht erschrecken

Für die Nacht hat Müller noch eine kleine Überraschung: „Es kann sein, dass nachts jemand vorbeikommt. Wir haben einen Mann bei uns in der Gemeinde, der gerne nachts in der Kirche betet.“ Für mich ist das kein Problem. Ich hoffe nur, dass sich der Mann nicht erschreckt, wenn er sich alleine wähnt und ich schnarche.

Oben sind die Orgel und Sitzbänke für die Gemeindeglieder. Von 2000 finden 220 auf den Bänken Platz. Im Schnitt kommen etwa 50 zu den Gottesdiensten. Die Kirche ist kleiner, als ich sie mir vorgestellt hatte. Es sind nur wenige Reihen links unten vor der Kanzel. Doch als wir runtergehen, sehe ich, dass unter der Empore auch noch welche sind. So klein ist die Kirche dann doch nicht. „Das Besondere in dieser Kirche sind die freischwebenden Balken, die das Gewicht auf die Außenmauern verteilen“, sagt Müller. Dadurch sind keine Stützen im Inneren nötig, durch die der Blick auf den Altar versperrt wäre. Das Gebäude ist aus dem 16. Jahrhundert. „Es ist die erste Kirche, die im Herzogtum Württemberg nach der Reformation neu und evangelisch gebaut wurde“, weiß Müller zu berichten. Denn die Predigt sei für die Protestanten besonders wichtig. „Ich kann von der Kanzel aus zu jedem Gläubigen auf jedem Platz eine Blickverbindung aufbauen“, sagt Müller. Dann wünscht er mir eine gute Nacht.

Was mache ich den Abend über?

Als er gegangen ist, streune ich durch den Raum. Ich schaue mir Bibelzitate an den Wänden an und betrachte die dunkle Kassettendecke. Dann packe ich meine Sachen aus und lege sie auf die vorderste durchgehende Bank auch als optisches Signal für den nächtlichen Besucher. So weiß er, dass jemand da ist. Nun stellt sich mir die Frage, was ich den Abend über machen soll. So viel zu entdecken gibt es nicht. Doch ich habe vorgesorgt und hole das Buch „Ich hab Zeit, was hast Du?“ von Bianca Schäb hervor. Sie ist mit einem Oldtimer auf der Suche nach einem entschleunigten Leben durchs Land gefahren. Zeit habe ich nun. In der Kirche zu lesen, ist schön, weil es so ruhig ist. Nach einem Kapitel bin ich müde und möchte nur noch ins Bett – ach nein, auf die Isomatte.

Bequem ist es nicht. Das Foto entstand mit Selbstauslöser. Foto: Malte Klein

Ich weiß nur nicht, wo ich schlafen soll. Ich könnte mich auf eine Bank legen. Das probiere ich gleich aus. Doch die ist sehr schmal. Ich passe nur darauf, wenn ich meinen rechten Arm auf mich lege. Außerdem habe ich Sorgen, dass ich von der Bank auf den Steinfußboden falle. Darum lege ich mich lieber direkt auf den Fußboden – auch wenn der viel härter ist. Ich blase die Isomatte extrastark auf und lege mich zur Probe hin. Gemütlich ist es nicht.

Ich kann mir nicht vorstellen, mich in der Kirche umzuziehen. Darum packe ich meinen Trainingsanzug für die Nacht ein und mache mich auf ins Gemeindehaus.

Als ich die Treppe zur Empore hochgehe, knarren die Stufen. Ich erschrecke, dass ich so laut bin und gehe die nächsten Stufen besonders vorsichtig hinauf, um keinen Lärm zu machen. Schließlich bin ich doch in einer Kirche. Doch mir wird klar, dass ich ja alleine bin und niemanden störe.

Ich schlafe immer mal wieder ein

Der Mann, der nachts mitunter in der Kirche betet, kommt nicht. Oder er war da, als ich geschlafen habe. Denn ich schlafe immer mal wieder ein. Manchmal wache ich auf, drehe mich auf den Bauch, merke wie mein Arm einschläft, drehe mich zurück und schlafe ein.

Als um 6 Uhr der Wecker klingelt, drücke ich auf die Schlummer-Taste. Das ist wie zu Hause. Um 6.30 Uhr stehe ich auf. Es ist kühl. Auf der Empore zeigt das Thermometer 17 Grad Celsius an. Besonders ist das blaue Licht, das den Altarbereich durch das farbige Fenster beleuchtet. Ich denke darüber nach, dass Menschen über Jahrhunderte hier Leid abgeladen und Hoffnung geschöpft haben.

Später gehe ich einen Kaffee trinken. Ich konnte schlafen und beschäftigte mich mit der Kirche. Es war nicht so spektakulär. Nur mein Rücken nimmt mir die Nacht auf dem harten Boden krumm. Als ich zurückkomme, sehe ich eine Gruppe Kinder mit Erzieherinnen vor der Eingangstür. „Wir besichtigen die Kirche“, sagt eine von ihnen. Nun kommt nach der Stille der Nacht wieder Leben ins Gotteshaus.