Studenten haben das Modell auf Praxistauglichkeit geprüft und mit anderen Städten verglichen.

Stuttgart - Rund 200 Seiten stark ist die Bachelorarbeit von Mirjam Philipp und Alexander Deiss. Akribisch haben die beiden Absolventen der Dualen Hochschule Baden-Württemberg das 2011 vom Stuttgarter Gemeinderat verabschiedete Stuttgarter Innenentwicklungsmodell Sim auf Herz und Nieren geprüft. Stark vereinfacht handelt es sich bei Sim um eine Art von Wohnraumbeschaffung. Da der Bedarf an Wohnraum in der Landeshauptstadt in den nächsten Jahren weiter ansteigen wird, Stuttgarts Flächenwachstum aber aufgrund der Topografie von vornherein Grenzen gesetzt sind, will der Gemeinderat der Landeshauptstadt durch eine zusätzliche Förderquote ein multifunktionales Wohnangebot schaffen.

Unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung der sozialen Segregation (Trennung), Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und der damit verbundenen Verhinderung von Abwanderungsbewegungen von einzelnen Bevölkerungsgruppen wird das Stuttgarter Innenentwicklungsmodell von Philipp wie Deiss in ihrer Arbeit durchaus positiv bewertet. Allerdings sparen die beiden Immobilienexperten auch nicht mit Kritik an der Art und Weise der Einführung. „Durch eine bessere Kommunikation zwischen der Stadt und den Marktteilnehmern hätten einige Risiken vermieden werden könne.”

Beispielsweise wären durch Gespräche mit Experten im Finanzierungsbereich mögliche Finanzierungsrisiken und ihre Folgen ersichtlich geworden, so Philipp und Deiss. Gerade die Erhöhung des Eigenkapitalanteils, der verlängerte Finanzierungszeitraum und die daraus resultierenden erhöhten Finanzierungskosten stellten ein erneutes Hindernis für die Umsetzung von Projekten unter Sim-Anforderungen dar, schreiben Philipp und Deiss der Stadt ins Stammbuch. Die Autoren gehen ferner davon aus, dass die erhöhten Finanzierungskosten mit Sicherheit auch negative Auswirkungen auf die Miet- und Kaufpreise in Stuttgart haben könnten.

 

„Runder Tisch der Immobilienwirtschaft”

Ihre Vermutungen basieren dabei auf handfesten Kalkulationen von Projektentwicklern. Den Kontakt zu den entsprechenden Unternehmen stellte Dr. Wolfram Sandner her. Der Stuttgarter Fachanwalt für Immobilienrecht und Leiter des Arbeitskreises „Runder Tisch der Immobilienwirtschaft” beim IWS übernahm nicht nur die fachliche Betreuung der Bachelorarbeit, sondern brachte die beiden Studenten auch mit namhaften Projektentwicklern zusammen. So mussten die Studenten in ihrer Arbeit nicht auf Mondzahlen zurückgreifen, sondern konnten ihre Studie auf echten Berechnungen aufbauen. Anhand verschiedener Szenarien sind die beiden in ihrer Arbeit dann der Frage nachgegangen, wie sich der Marktwert eines Grundstücks in Stuttgart durch das Innenentwicklungsmodell verändert. Ihr Ergebnis: je nach Annahme sank der Bodenwert um bis zu zwei Drittel. Damit haben sich für Frank Peter Unterreiner vom Verband Immobilienwirtschaft Stuttgart IWS - der die Arbeit im Rahmen seiner Nachwuchsförderung unterstützt - die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. Derzeit würde der boomende Immobilienmarkt in der Landeshauptstadt noch viel kaschieren. Das könnte sich aber mit der Veränderung der Wirtschaftslage und durch Sim bald ändern, vermutet Unterreiner. Der stellvertretende IWS-Vorsitzende wirft der Stadt vor, Sim ohne Rücksprache mit der Branche auf den Weg gebracht zu haben.

Für Professor Hanspeter Gondring, Studiengangsleiter BWL-Immobilienwirtschaft/Versicherung an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, zeige der Streit um Sim ein grundlegendes Problem in Stuttgart. Städte wie Stuttgart seien keine Peperoni-Pizza, auf die man wahllos mal dies oder jenes streue. Die Verwaltung der Landeshauptstadt müsse lernen, viel stärker auf die individuellen Interessen der Bürgergesellschaft einzugehen. Der Wurm müsse dem Fisch schmecken und nicht dem Angler, so Gondring.

Besteht am Standort Bedarf?

Der Werteverfall anhand der gewählten Szenarien kann nach Meinung der beiden Autoren unterschiedliche Gründe haben. So seien die Kapazitäten für gemischte Objekte in den Bereichen Wohnen und Gewerbe in der Landeshauptstadt vielfach gar nicht vorhanden. Hinzu komme, dass das Investorenverhalten meistens nur auf reine Büroimmobilien ausgerichtet sei, da hier eine höhere Rendite erzielt werden könne. Auch stelle die zehn- bis 15-jährige Bindungsfrist bei den Mietwohnungen für exitorientierte Unternehmen - das sind Firmen, die eine Immobilie bauen und dann weiterverkaufen - eine Herausforderung dar, da diese in der Regel eben nicht als Bestandshalter aufträten und somit in diesem Bereich häufig keine Erfahrung hätten, schreiben Philipp und Deiss. Teurer werden die Immobilien letztendlich aber auch durch die notwendige vertikale Erschließung, damit sich die Nutzungswege der Bewohner und der im Gebäude arbeitenden Personen nicht kreuzen. Diese Maßnahme führe letztendlich dazu, dass sich die Flächeneffizienz des Gebäudes verringert und damit die Gesamtkalkulation für den Investor. Ein Rückgang der Investitionsbereitschaft hätte aber nach Ansicht von Philipp und Deiss fatale Folgen für die Stadt. So bliebe der vorhandene Investitionsrückstau bestehen, und ein so beeinträchtigtes Stadtbild hätte zwangsläufig auch negative Auswirkungen auf die Innenstadtentwicklung. Besonders kritisch sehen die beiden Immobilienexperten die ihrer Ansicht nach „zu starre Formulierung” der Förderquote, nach der bereits ab einer Geschossfläche von 1350 Quadratmetern jeweils eine Sozialwohnung, eine Mietwohnung für mittlere Einkommensschichten und eine preiswerte Eigentumswohnung realisiert werden müssten. „Es wird dabei nicht berücksichtigt, ob am Standort dafür überhaupt der Bedarf besteht”, kritisieren die Autoren.

In keiner Stadt seien die Regelungen bezüglich der Wohnquote so starr wie in der Landeshauptstadt. München, Heidelberg und Freiburg würden ausschließlich bei Wohnprojekten eine Förderquote verlangen. Selbst bei der oft als Vorbild herangezogenen bayrischen Landeshauptstadt liege die Umsetzung einer Wohnquote bei Gewerbeobjekten im Ermessen der Stadt. Hinzu komme, dass bei nahezu identischen Grundstückspreisen in München dennoch viel höhere Mieten erzielt werden könnten. Dadurch könne auch der finanzielle Mehraufwand in der bayrischen Landeshauptstadt einfacher auf die Mietpreise umgelegt werden, so die beiden Autoren.

Mirjam Philipp und Alexander Deiss empfehlen der Stadt abschließend, ihre Kommunikation zu verbessern, ein Nachverdichtungskonzept einzuführen und die starre Eins-zu-drei-Regelung im Bereich der Förderprogramme abzuschaffen. Nach der zweijährigen Testphase sollte das Modell - dieses Mal unter Einbeziehung aller Marktteilnehmer - auf jeden Fall modifiziert werden. Nur so wird „aus der Mischung aus Ideologie und Naivität”, wie Stuttgarts Finanzbürgermeister Michael Föll Sim einmal bezeichnet haben soll, ein Innenentwicklungsmodell, mit dem alle leben können.