Das Familienzentrum MüZe-Süd eröffnet mit dem Elektromusiker Karel Hacker und klingenden Topfpflanzen seinen Kreativraum. Hier sollen Zukunftsideen für den Stadtbezirk entstehen.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Stuttgart - Huch, was ist das denn? Wer in den kommenden drei Wochen an dem Kreativraum-Süd in der Böblinger Straße 44 vorbeigeht, wird erst irritiert sein und dann hoffentlich positiv erstaunt: Ein Schaufenster voller Zimmerpflanzen grüßt die Passanten mit den Klängen ihrer eigenen Energieströme. Dahinter steckt eine Kunstperformance vom Spezialisten für elektronische Musik Karel Hacker. Rechtzeitig zum kalendarischen Frühlingsanfang am 20. März hat Hacker die 36 Zimmerpflanzen aus verschiedenen Haushalten unter dem Motto „zuhören: Wenn Pflanzen ins Erzählen kommen“ elektronisch belauscht und daraus einen Soundteppich produziert, der nun drei Wochen nach außen klingt, wenn jemand vorbei geht.

 

Musik aus Strom in den Blättern

Einige Blätter der singenden und schwatzenden Pflanzen zapft er mit Sensoren an und die elektrischen Ströme, die die Topfpflanzen erzeugen, lenkt Hacker über ein spezielles Modul zu seinem Synthesizer. Dieser macht die Ströme hörbar. Erstaunlich, wie breit das akustische Spektrum der Pflanzen ist und erstaunlich auch, was Hacker mit seinen elektronischen Möglichkeiten damit macht: Wie in einer Band lässt er die Dieffenbachie den Bass spielen, und die Aralie macht quietschend die Special Effects. Für den Hall sorgt Hacker und ebenso dafür, wie die Ströme letztlich Musik werden: „Ich könnte sie zum Beispiel wie eine Harfe klingen lassen“, erklärt er. „Die Pflanze bringt als Lebewesen etwas völlig Unerwartetes in die elektronische Musik.“

Was sich so einfach anhört, ist eine beachtliche Hightech-Inszenierung, an der unzählige Kabel, Knöpfe, Schalter und Regler beteiligt sind. Hacker verarbeitet das klangliche Material, das ihm die Botanik bietet. Alles ist Zufall. „Was ich hier im Moment mache, wird in dieser Form nie mehr wieder zu hören sein“, sagt er. Es ist nicht wiederholbar, nur als Konserve existieren die Klangfolgen weiter. Vor dem Schaufenster hat sich während der Performance neugieriges Publikum getummelt, und ein Baby wurde zum Pflanzen-Sound rhythmisch beruhigt. Ins Klanglabor hinein zum Meister, der in eine Jeans mit floralem Muster und sogar in blumige Socken gewandet war, durften nur Gäste, die zuvor einen Time-Slot gebucht hatten.

Pflanzen beim Casting

Große und kleine, gepflegte und verstaubte Pflanzen, solche in schönen Übertöpfen und solche ganz ohne – so unterschiedlich wie die Bewohner des Stadtbezirks präsentieren sich auch deren Zimmerpflanzen in dem Schaufenster, in dem früher edle Chronografen lagen. Nicht jede wird an das Modul angeschlossen, es ist wie bei einem Casting: „Stabile Pflanzen produzieren mehr Strom“, erklärt Hacker. Zarte Blättchen haben kaum eine Chance auf einen Auftritt. Sie alle werden jedoch bis 6. April gut betreut auf das Klangprojekt aufmerksam machen: Zuhören, hinhören, aufmerksam werden auch auf die leisen Töne im Viertel, das ist der tiefere Sinn, der hinter der Aktion steckt, erklärt die Konzept-Künstlerin Uta Weyrich.

Zusammen mit Barbara Bansbach vom Familienzentrum MüZe-Süd hat sie das Konzept für den Kreativraum in dem einstigen Uhrengeschäft gestaltet. Nach Hackers Pflanzen-Musik sollen hier fortlaufend Aktionen stattfinden, die etwas mit der Entwicklung im Stadtbezirk zu tun haben: Das Theater Rampe ist schon mit von der Partie. Menschen, Ideen, Lösungen sollen hier zusammengebracht werden. „Wir wollen den Focus auf andere Lebenswelten richten und den Geschichten von Menschen zuhören“, sagt Bansbach. Dazu gehören auch Mütter und Kinder, die hier Raum zum Kreativsein haben. „Aber es wird kein neues MüZe“, betonen die Macherinnen. „So wie hier die unterschiedlichsten Zimmerpflanzen aktuell zusammen stehen und gemeinsam etwas machen – so sollen es die Leute künftig tun.“