Niedrigwasser herrscht nicht nur in deutschen Flüssen und Seen. Von extremer Trockenheit ist auch der Neusiedler See im Grenzland zwischen Österreich und Ungarn betroffen. Darunter leiden Natur, Landwirtschaft und Tourismus.

Es ist heiß, windig, trocken. Das macht das Klima am Neusiedler See schon immer aus – und die Region im österreichischen Burgenland zum Tourismusmagneten, zum Surfmekka, zu einem fruchtbaren Gemüse- und Weinanbaugebiet. Seit Monaten hat es jedoch kaum geregnet. Eine außergewöhnliche Hitzewelle und starke Winde setzen dem See zusätzlich zu: Er verdunstet quasi. Pro Tag sinkt er bis zu einem Zentimeter, wie Experten vorrechnen. Zum Wochenende sind zwar auch hier wieder Niederschläge vorhergesagt. Auf den Wasserstand, derzeit kaum noch 1,15 Meter und somit 40 Zentimeter unter Normalstand, wird sich das aber zunächst wenig auswirken: Der Pegel ist so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

 

Die Badesaison sieht Christian Sailer vom Hauptreferat Wasserwirtschaft des Landes Burgenland zwar nicht in Gefahr: Man kann im See weiterhin schwimmen, surfen und sogar segeln – zumindest mit kleineren Booten. „Aber die Wege, um tiefer ins Wasser zu kommen, werden länger“, sagt der Leiter der Task-Force Neusiedler See. Größere Segelboote liegen – wie am Bodensee – derweil jedoch auf dem Trockenen, selbst im Tretboot droht man an manchen Stellen auf Grund zu laufen.

Fische verenden

Bis Mitte August haben Bagger gewisse Abhilfe geschaffen, indem sie etwa in Rust den Schlamm in der Hafeneinfahrt abgruben und so die Schifffahrt wieder ermöglichten. Den Fischen nutzt das allerdings wenig: Die hohe Wassertemperatur, teils mehr als 30 Grad, und der niedrige Sauerstoffgehalt lassen Zander und Co. verenden.

Für die Landesregierung ist daher klar, dass es ohne einschneidende Maßnahmen nicht weitergeht. Unter anderem ist eine Zuleitung von Wasser geplant. So könnte Donauwasser in den See fließen, um ihn vor dem langfristigen Austrocknen zu schützen und auch künftig für den Bade- und Bootstourismus nutzen zu können.

Kritik an künstlicher Wasserzufuhr

Von einigen Umweltschützern wird dies allerdings kritisch gesehen. Der WWF Österreich bewertet eine künstliche Zuleitung als ökologische Katastrophe, da das leicht salzhaltige Wasser des Meers der Wiener verändert und gestört werden könnte. „Die Menge macht das Gift“, hält Christian Sailer dagegen. „Das wenige Wasser, das wir zuführen wollen, würde das System lediglich stützen.“

Seine eigens dafür gegründete Task-Force sucht daher weiter nach einer realistischen, bezahlbaren Möglichkeit zur Wasserzufuhr. Mit dem Nachbarland Ungarn, auf dessen Gebiet gut ein Viertel des Steppensees liegt und das somit mitzureden hat, sei eine Vereinbarung unterzeichnet, an einem Vertrag werde gearbeitet, teilte der Landesrat Heinrich Dorner mit.

Eine „hausgemachte Tragödie“

Erich Stekovics, über die Grenzen des Burgenlands hinaus als „Paradeiser-Papst“ bekannt, greift das zu kurz. Er spricht von einer Tragödie, einer hausgemachten. Seit mehr als 20 Jahren bestellt er im Seewinkel seine Felder mit Tomaten, die auf österreichisch Paradeiser heißen. Dabei setzt er auf Sparsamkeit beim Bewässern und mahnt auch seine Kollegen dazu. Für das Niedrigwasser im See sieht Stekovics die Landwirte zwar nicht verantwortlich: „Doch wenn – neben der Verdunstung des Sees – der Grundwasserspiegel weiter sinkt, wird hier bald kein Gemüse- und Weinanbau mehr möglich sein.“

Das Klima habe sich in der ohnehin sensiblen Region innerhalb weniger Jahre massiv verändert. „Langfristig müssen wir uns auf extreme Bedingungen einrichten“, ist er sich sicher. „Wenn wir nichts ändern, etwa durch Windschutz und Auffangbecken, aber auch an unserem Verhalten, wird es katastrophal – und die Region zum frühen Mahnmal für andere Landstriche.“

See war bereits ausgetrocknet

Arno Cimadom schätzt die Lage weniger dramatisch ein: „Ob wir es mit einer historischen Situation zu tun haben, kann man nicht klar mit einem Ja oder Nein beantworten“, sagt der Biologe und wissenschaftliche Mitarbeiter des Nationalparks Neusiedler See – Seewinkel. Im Wandel der Zeit habe der See immer wieder sehr trockene und sehr feuchte Phasen gehabt. „Er lebt von Extremen, das macht ihn aus. Würde er ganz austrocknen, wäre das nicht das erste Mal. Zuletzt war das Mitte des 19. Jahrhunderts der Fall.“ Zudem benötige auch der breite Schilfgürtel gelegentlich Niedrigwasser, um sich zu regenerieren.

Klar sei jedoch, dass man die Natur und den See, auch als Wirtschaftsfaktor, nicht isoliert sehen könne, so Cimadom: „Es hängt inzwischen so viel dran. Die Menschen wollen am, mit und vom See leben.“ Auch im Tourismus. Eine Wasserzuleitung sieht aber ebenfalls Cimadom kritisch: „Durch falsches und zu vieles Wasser kann man mehr zerstören als retten.“ Letztlich sei das weitere Vorgehen eine politische Entscheidung. „Die Diskussion muss so breit und offen wie möglich geführt werden.“

Im September soll es einen Runden Tisch geben, zu dem alle Interessenvertreter geladen sind. Damit es dem Neusiedler See nicht wie dem benachbarten Zicksee geht – er gilt bereits als ausgetrocknet.