Die Europäische Zentralbank reagiert auf die hohe Inflationsrate. Der Schritt kommt aus Sicht des Chefs des Ifo-Instituts zu spät.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Die Europäische Zentralbank (EZB) will im Juli zum ersten Mal seit elf Jahren ihren Leitzins anheben und plant danach weitere Erhöhungen. Wenn sich der Inflationsausblick bis zum Spätsommer nicht bessere, könnte im September ein größerer Zinsschritt erfolgen, teilte die Notenbank am Donnerstag nach einer Ratssitzung in Amsterdam mit. Für Juli ist nur eine Anhebung um 0,25 Prozentpunkte geplant.

 

Der Einlagenzins von derzeit minus 0,5 Prozent bliebe damit noch im negativen Bereich. Im September wäre es aber vorbei mit den ungeliebten Negativzinsen, die neben den Geschäftsbanken auch einen Teil der Kundschaft treffen.

„Wir werden sicherstellen, dass die Inflationsrate mittelfristig zu unserem Ziel von zwei Prozent zurückkehrt“, versicherte EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Sie räumte allerdings ein, das werde dauern: „Erwarten wir, dass die Zinserhöhung im Juli unmittelbare Auswirkungen auf die Inflation haben wird? Die Antwort lautet: Nein“, sagte Lagarde. „Es ist kein Schritt, es ist eine Reise.“

Experten erwarten Jahresschnitt von 6,8 Prozent

In den kommenden Monaten wird die Inflationsrate nach Einschätzung der Notenbank nur leicht sinken, ihre Experten erwarten für 2022 einen Jahresschnitt von 6,8 Prozent. Im Mai hatte die Teuerungsrate im Euroraum 8,1 Prozent erreicht. Für 2023 sagen die EZB-Ökonomen aktuell eine Inflationsrate von 3,5 Prozent und für 2024 einen Rückgang auf 2,1 Prozent voraus.

Die EZB überprüft ihren Ausblick vierteljährlich. Falls die Inflationsprognose für 2024 im September weiter über zwei Prozent liege, werde man die Leitzinsen dann um mehr als 0,25 Prozentpunkte erhöhen, sagte Lagarde.

Außerdem will die EZB ab Juli kein frisches Geld mehr in die Wirtschaft pumpen. Seit 2015 gab sie insgesamt rund fünf Billionen Euro dafür aus, Staatsanleihen und andere Wertpapiere von Banken und anderen Marktteilnehmern zu kaufen. Damit sollten die Finanzinstitute animiert werden, die Einnahmen anderweitig zu investieren oder sie in Form von Krediten an Firmen und Verbraucher auszureichen.

Die Anleihekäufe werden eingestellt

Ab Juli will die Notenbank ihren Bestand an Wertpapieren nicht mehr erhöhen. Wenn Anleihen in ihren Büchern auslaufen, also von den Schuldnern getilgt werden, will sie diese Papiere aber ersetzen. Das heißt: Die EZB wird dem Markt vorerst kein Geld entziehen, aber auch nicht mehr nachlegen.

Mit Blick auf hochverschuldete Staaten wie Griechenland hält sich die Notenbank aber eine Hintertür offen: Beim Ersatz auslaufender Anleihen durch neue Papiere könnte sie bevorzugt Schuldtitel von Ländern kaufen, die besonders unter der Coronakrise gelitten hätten, teilte die EZB mit. Auf diese Weise könnte sie gegensteuern, wenn sich der Schuldendienst für einzelne Länder durch steigende Zinsen massiv verteuern sollte.

Schritt kommt laut Chef des Ifo-Instituts zu spät

Der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest, nannte die angekündigte Zinswende „einen richtigen Schritt, der aber zu spät kommt“. Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, kritisierte, die EZB hätte die Zinsen direkt anheben sollen. „Damit hätte sie ein starkes Signal an Märkte, Sozialpartner und Menschen gesendet, dass sie die Risiken erkannt hat und entschieden handeln wird.“

Sparkassenpräsident Helmut Schleweis forderte, der EZB-Rat sollte sich im Juli „zu einem deutlicheren Schritt durchringen und den Leitzins gleich um 0,5 Prozentpunkte anheben“. Eine Erhöhung um 0,25 Prozentpunkte sei zu zögerlich.